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Die dunkle Seite der Reiseplanung

Erst wollte ich diesen Eintrag nicht posten. Weil er einen ein bisschen runterzieht. Und mal ehrlich, die Depri-Nummer will keiner lesen. Immerhin erwarten alle, dass ich grinsend wie ein Hutschpferd durch die Gegend laufe, ich erfülle ich mir schließlich einen Traum und mache derzeit überhaupt alles richtig. Soweit zur Theorie. Nun, die Praxis sieht anders aus. Im wahren Leben verfluche ich mein Vorhaben täglich dreimal, wenn nicht öfter. Zum einen, weil meine Wohnung seit dem 1. Oktober untervermietet ist und ich bis zur Abreise im absoluten Chaos im Gästezimmer hause (ein Normalzustand fürs kommende Jahr, wie mir langsam dämmert). 

Zum anderen, weil ich geistig müde bin. Vom ständigen Verabschieden. Von den letzten Behördengängen. Davon, dass ich mich hundert Mal am Tag frage: „Hab ich alles?!“

Vielleicht nimmt man das Ganze leichter, wenn man 20 oder 25 ist. Die Backpacker, die einem so über den Weg laufen, schauen immer recht entspannt aus. Ich kann von mir sagen: Ich bin es nicht. Und der absolute Tiefpunkt war der vergangene Mittwoch. Der Pack-Mittwoch. Der „Ich muss aus meinem Nest raus“-Mittwoch, der klar gemacht hat: Das mit dem Traum erfüllen ist mühsam …

 

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Es war die bescheuerte Reisewäscheleine. Ein Stück gedrehte Kordel, das ich für neun Euro bei Amazon gekauft habe, weil meine beängstigend kluge Schwester meinte, so was brauche man, um unterwegs T-Shirts, Bikinis oder sonstiges Zeug zum Trocknen aufhängen zu können. Sie hat auch noch für eine Stirnlampe plädiert („Wenn du nachts auf die Toilette musst und kein Licht da ist“) und für einen To-Go-Waschbecken-Stöpsel, der sei unerlässlich, um schmutzige Wäsche per Hand zu waschen. Erstere hab ich bestellt, den Stöpsel fand ich dann doch übertrieben. Oder um bei der Wahrheit zu bleiben: Ich wusste ich nicht, wo man solche Dinger einzeln kauft. Und irgendwann war’s mir auch wurscht.

Jedenfalls fragte meine Schwester, kurz bevor ich den Koffer zudrücken wollte: „Hast eh deine Wäscheleine eingepackt?“.

Und da brach er, der Damm. In dieser Sekunde hab ich endgültig ich die Nerven weggeschmissen.

Denn nein, ich wusste nicht mehr wo dieses Ding war. Ich wusste gar nichts mehr. Ich wusste nur, dass meine Wohnung aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Überall Kisten, Chaos, ein explodierter Kleiderschrank und Dokumente, die sortiert werden wollten. Dazwischen: Ich, ungeduscht, barfuß, staubig – und ohne einen blassen Schimmer, wo ich diese 3,5 Meter lange Schnur, plötzliches Sinnbild für „Ich hab meine Reiseplanung im Griff“, finden könnte. Dabei hatte ich sie gleich nach dem Kauf wie ein Hamster an einem Ort versteckt, an dem ich sie GARANTIERT wiederfinden würde. Tja.

Ich hab also das getan, was alle tun, die überfordert sind: Ich hab erstmal mein Gegenüber angeschnauzt.

Die Schwester trottete daraufhin nach Hause, in ihre wunderbar aufgeräumte Wohnung, in der alles seinen Platz hat, während ich wie der Grinch zurück in meiner Höhle blieb. Mit einer Flasche schalem Klischee-Prosecco und soviel Selbstmitleid, das man darin hätte baden können. Die Selbstgeißelung reichte von: „Warum muss alles in meinem Leben immer so verdammt mühsam sein? Ich bin zu alt für den Scheiß!“ über „Wieso hab ich’s nie geschafft, mir eine Eigentumswohnung zu kaufen, die ich jetzt einfach abschließen könnte?“ bis hin zu „Ich hab doch erst vor gut einem Jahr mein Hab und Gut gepackt, nach einer richtig miesen Trennung von einem richtig miesen Mann.“ Aber nein, anstatt dass ein Kerl mich auf Händen trägt und den Koffer gleich dazu, stehe ich hier mit einem Schraubenzieher in der Hand, um noch schnell den Klodeckel für die Untermieterin zu reparieren, die in weniger als 12 Stunden kommt.

Es hat bis kurz vor Mitternacht gedauert, bis ich fertig war. Ein 16 Stunden Tag. Einmal Hölle und zurück. Am Ende stand ich mit einem 27,6 Kilo schweren Koffer, unzähligen Plastiksackerln sowie einer Kiste mit Dokumenten vor der Wohnung meiner Schwester, meiner Übergangsbleibe bis zur Abreise. Sie hatte schon geschlafen, kam im Pyjama auf die Straße. „Hallo Kämpferin“, meinte sie. „Ich glaub, ich sag’ das Ganze ab“, bockte ich. –  „Warum?“ – „Weil ich nicht mehr kann. Und ehrlich gesagt, weil ich auch nicht mehr will.“ – „Hast du alles?“ – „Weiß nicht.“ Dann schleppten wir im Mondschein meine Habseligkeiten in ihren Bau. Zumindest auf den letzten Metern trug ich den Kopf gerade und versuchte mir einzureden: Ab jetzt gibt’s nur noch eine Richtung – VORWÄRTS. Und für die braucht´s keine Reisewäscheleine.

 

 

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