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Kauai. Oder: Haltet endlich den Schnabel!

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„Mama, ich kann nichts für den Blog schreiben. Ich bin damit beschäftigt, aufs Meer zu schauen.“ Aus der Serie: Lahme Ausreden für faule Weltreisende, Teil 1.

Heute habe ich mit meiner Mutter telefoniert. „Auf deinem Blog entdecke ich seit Wochen nichts Neues“, hat sie irritiert gemeint. „Hast du wirklich seit San Francisco nichts mehr gepostet oder checke ich das mit dem Internet mal wieder nicht?“. Dazu muss man wissen: Meine Mutter steht ein wenig auf Kriegsfuß mit der digitalen Welt. Der Doppelklick stresst sie. Und den Newsfeed bei Facebook hat sie lange für ihre persönliche Mailbox gehalten („Warum schicken die mir das alles?!“ – „Mama, das geht nicht an dich privat, das sehen alle, die mit dieser Person befreundet sind.“ – „Ah so. Und warum schicken die das allen?!“).

Trotzdem: Diesmal lag’s nicht an ihr. Es lag an mir. Das Kind war einfach nur ein faules G’frast, das beschlossen hat, sich drei Wochen lang die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen und jeden Gedanken ans Online-Publizieren erfolgreich zu verdrängen. Außerdem war das Kind damit beschäftigt, wallende Blumenkleider und arschknappe Bikinis zu probieren oder mit der Freundin, die mich hier besucht hat, 11-prozentigen-Ananaswein zu trinken. Irgendwann habe ich sogar aufgehört, mir diese Ausflüchte schön zu reden. Blog vorübergehend still gelegt. Wegen Urlaub vom Urlaub. Auch wenn man für so einen Sager eigentlich  abgewatscht gehört von der arbeitenden Welt.

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Lovely Christiane hat 3 Wochen mit mir die Hawaii-Inseln unsicher gemacht, Haus- und Hoffotografin gespielt und mich geduldig durch die (für mich) immer gleich aussehenden Straßen navigiert. „Links, gell?“ – „Nein, rechts“. – „Fuck, fast richtig.“ – „Du hast an jeder Kreuzung eine 50:50 Chance“. „Also fast richtig, ja?“

 

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Ach ja, zum Heliport hat sie uns auch dirigiert. 50 Minuten Kauai von oben. Inklusive Walsichtung. Die schwarzen Outfits sind übrigens eine Empfehlung des Piloten. Damit beim Fotografieren durch die Fensterscheiben des Helikopters nichts störend spiegelt.

Dazu kommt: Ich schreibe prinzipiell gern abends. Und die Abende hier auf Hawaii sind nicht sehr lang, also nicht lang genug, um einen vernünftigen Blog-Eintrag zu fabrizieren. Die lokalen Restaurants – auch die guten – und die mobilen Taco-Trucks schließen um 22 Uhr. Spätestens. Dann heißt es Licht aus, Schicht im Schacht. Das gilt sogar für Straßenlaternen, sofern solche überhaupt vorhanden sind. Meistens sind sie es nicht. Neulich, als wieder mal nichts los war und wir sogar der nobelsten Hotelbar auf Kauai einen Besuch abgestattet hatten, weil wir nicht glauben wollten, dass auch dort kein Nachtleben existiert, habe ich mich am Heimweg quer über die Sperrlinie einer großen Straße gelegt, während die Christiane die Szene seelenruhig fotografiert hat.

„Jetzt stillhalten und steck dir die Taschenlampe in den Mund“, hat sie dirigiert.

„Gut so?“

„Ja, schön gespenstisch sieht das aus. Jetzt leg dich noch ein Stückchen nach links. Warte, mein Blitz spinnt, das muss ich richten.“

„Die Straße ist noch aufgeheizt von der Sonne. Ich lieg hier eh gern rum. Schön warm im Rücken.“

„Bleib so. Jetzt noch ein Schuss von oben.“

 

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Ähem, ja. Was einem halt so einfällt, wenn sich auf der Insel nix tut. Dass das Foto so ist, wie es ist (nämlich kaum erkennbar), liegt an der fehlenden Straßenbeleuchtung. Verbuchen wir es als Kunst.

 

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Sonnenuntergang am Poipu Beach auf Kauai. Drei Stunden später schläft die Insel.

Nach anderthalb Flaschen Prosecco und drei Wochen Inselfieber findet man so was lustig. Jedenfalls: Ich hätte auf diesem Highway übernachten können, ohne dass ein Auto mich und meine Eingeweide totgefahren hätte. Denn im Dunkel der Nacht passiert auf Hawaii nichts, was akut lebensgefährlich wäre. Die betuchten Gästen decken sich ab 22 Uhr mit Bettwäsche aus ägyptischer Baumwolle zu und löschen das Licht. Die Honeymooner liegen sowieso längst in den Federn, um das zu tun was von Honeymoonern erwartet wird zu tun. Die Surfer ziehen sich in ihre Hängematten und Zelte zurück und träumen von der großen Welle. Aktiv sind nur noch die Bewässerungsanlagen. Und die ausnahmslos dunklen Fenster der Ferienhäuser legen einem nahe: Geh auch du endlich ins Bett.

Ich behaupte ja, es liegt an den wilden Hühnern hier, dass alle so früh müde sind (bis auf die Flitterwöchner, die haben andere Gründe). Kauai, mit sechs Millionen Jahren die älteste Insel Hawaiis, ist übersät mit eierlegendem Federvieh. Der Vollständigkeit halber sei gesagt: Wildschweine leben auch hier. Neulich hat eine Kleinfamilie – also Papa Eber, Mama Sau und drei kleine Ferkel –  aus dem Dschungel rausgelugt, als wir zurück zum Auto sind.  Aber hauptsächlich gibt es hier Hühner. Und die nerven. Gewaltig.

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Auch das ist Hawaii. Wildschweine und Hühner am Straßenrand. Einfach mal so.

Am Highway: Hühner.

Am Golfplatz: Hühner.

Auf der Terrasse des Restaurants: Hühner.

Am Parkplatz von Macy’s: Hühner.

Sogar am Strand: Hühner, Hühner, Hühner.

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Gockel mit Dachschaden. Einer von vielen.

 

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Putt, putt, putt … So dämlich, dass sie sich fangen lassen, sind sie aber leider auch nicht.

Egal wohin man geht, ein Gockel und sein gackernder Harem sind immer schon vor einem da. Die schwindelfreisten Exemplaren sitzen sogar hoch oben in den Palmen und schimpfen von dort auf einen runter als wollten sie sagen: Huhn oder Ei? Die Frage stellt sich nicht. Auf Kauai waren es definitiv wir Hühner.

„Die Viecher sind anscheinend die Urform unserer Hendln“, hat Christiane im Reiseführer nachgeschlagen. „Die Polynesier haben vor hunderten Jahren eine sehr robuste Rasse, eine Art Dschungelhuhn, hierher gebracht. Später haben sich diese Viecher mit den normalen Festland-Hendln gekreuzt, die Captain Cook von 1778 an auf die Insel schaffte.“

„Aha. Aber warum sind es gleich so viele geworden? Warum hat neulich sogar der Chef der Hula-Tanztruppe dafür plädiert, jeder Kauai-Tourist möge eines von den verdammten Viechern mitnehmen, damit sich die Zahl endlich minimiert.“

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Bevor die Mädels die Hüften geschwungen haben, hat ihr Chef noch gebeten, man möge bitte die verdammten Hühner von der Insel nehmen. Damit alle wieder in Frieden leben können.

„Keine Ahnung, das steht da nicht. Aber ich find die Sache so schräg, ich kauf mir auf jeden Fall eines dieser Kauai-T-Shirts, wo vorne drauf ein Gockel gedruckt ist,“ hat Christiane gelacht. Weil ihr das sonst keiner glaubt, dass das Traumziel Hawaii ein einziger großer Hühnerstall ist.

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No chicks, no crow! No roosters wäre besser.

Mittlerweile weiß ich: Nicht nur Captain Cook ist an der Hühner-Invasion schuld, sondern auch Hurrikan Iniki. Der hat 1992 auf Kauai gewütet und ein paar Hühnerfarmen und Zuchtstationen für Kampfhähne (auf Hawaii sind nach wie vor Hahnenkämpfe groß) komplett zerlegt. Wumm, plötzlich war das Dach wie weggeblasen, tausende Tiere kamen mit einem Schlag frei, haben sich fröhlich vermehrt und die Insel Stück für Stück für sich eingenommen. Wobei man sagen muss: Die Hennen sind nicht das Problem. Die Gockel sind es. Die bunt gefiederten Machos sind meiner Meinung nach geisteskrank. Oder wie bitte sollte man ihr Verhalten sonst deuten? Während die Weibchen friedlich vor sich hin picken, gebärden sich die Männchen vorneweg lautstark und krähen zu jeder unpassenden Tages- und Nachtzeit. „Wie im echten Leben! Die Frauen sind nie das Problem!“, habe ich erst neulich wieder geschimpft, als wir kurz vor Mitternacht von einem randalierenden Federvieh aus dem Schlaf gerissen wurden, das sich direkt unter unserem Schlafzimmer-Fenster postiert hatte.

Ich würde ja nichts sagen, wenn es klassisch zum Sonnenaufgang wäre. Auch kein Problem, wenn das Vieh mal vorsorglich hyperventiliert, um ein neues Revier zu markieren. Aber die Hähne von Kauai krähen IMMER.

Dem Hahn ist warm? Er kräht.

Dem Hahn ist kalt? Er kräht.

Der Hahn hat Hunger? Er kräht.

Dem Hahn ist fad? Er kräht.

Das verdammt Viech kräht sogar, wenn man es am Badetuch liegend schief von der Seite anschaut.

Jedenfalls: Wer länger als drei Tage auf Kauai weilt, ist um 21 Uhr hundemüde, weil für ihn spätestens um sechs Uhr früh Tagwache ist, ob er will oder nicht (und was die Hähne nicht schaffen, erledigen die Landschaftsgärtner – frühmorgendliches Rasenmähen, Palmen-Trimmen und Heckenschneiden mit der Motorsäge scheinen ein Volkssport hier zu sein). Ob Pierce Brosnan oder die Superreichen, die hier auf der Insel Luxus-Immobilien gekauft haben auch solche Probleme haben, habe ich neulich mit Ethan, dem Besitzer eines Coffee Shops diskutiert? Er hat nur gelacht und gemeint: „Yep. Den Hühnern entkommt hier niemand.“ Und dann hat er erzählt, was der Bestseller in seinem Café ist: das Chicken Sandwich.

Keiner gibt auf. Nicht die Hähne. Nicht der Hula-Chef. Nicht die Chicken-Sandwich-Verkäufer. Nicht ich.  Bis einer heult. Und ich fürchte, es werden nicht die Hühner sein.

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