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Warum Hawaii?

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Das ist der Stoff einer Umkleidekabine in einem Shop in Kapaa. Und irgendwie auch der Stoff, aus dem meine Reiseträume waren 🙂

Warum Hawaii? Was hat dich hierher gebracht ?

Diese Frage wird jedem hier gestellt, egal ob man Tourist oder Zugewanderter ist. Nicht etwa, weil alle so neugierig wären. Aber der Aloha-State ist nun Mal verdammt weit weg vom Schuss. Klein wie ein Fliegenschiss, auf der Landkarte kaum erkennbar, und ein wenig verloren treiben die acht Hawaii-Inseln im pazifischen Ozean. Die Hauptstadt Honolulu gilt offiziell sogar als das „am meisten isolierte Bevölkerungszentrum der Welt“, denn zum Festland sind’s von jeder Seite gut 4.000 Kilometer. Erst dann taucht rechts Kalifornien und links Japan auf. Dazwischen? Gibt’s nicht viel. Außer gefrässige Haifische, Buckelwale und ein paar Schiffswracks.

Wobei ich an dieser Stelle zugeben muss: Ich dachte lange Zeit ja, Hawaii sei nur EINE Insel. Und auf dieser fanden sich – zumindest in meiner Vorstellung  – Waikiki Beach, Maui, Hula-Tänzerinnen und Surf-Schönling Kelly Slater. Das ist ziemlich hirnverbrannt. Und ich hoffe die Götter Hawaiis verzeihen mir den geografischen Frevel. Aber ich hatte im Gymnasium eine überforderte Lehrerin und offenbar ein Aufmerksamkeits-Defizit. Mittlerweile ist aber auch der Wasserstoffblondine in mir bewusst, dass man von Hawaii zumindest folgende Inseln kennen sollte: O’ahu (hier liegen die Hauptstadt Honolulu und Waikiki Beach), Maui (Kelly Slaters Königreich), Big Island (wird oft auch nur „Hawaii“ genannt, eine große und wunderschöne Vulkaninsel, in der auch heute noch Lava fließt) und Kauai (mit sechs Millionen Jahren die älteste Hawaii-Insel, hier wurde Jurassic World gedreht). Der Rest ist in Privatbesitz oder teilweise nicht bevölkert.

Jedenfalls: Wer die weite Reise ins Regenbogenland auf sich nimmt (und auf Hawaii gibt es immer einen Regenbogen zu sehen, hat was mit der perfekten Balance von Wolkenbrüchen und Sonnenschein zu tun, der Rainbow ist sogar auf die offiziellen Auto-Nummernschilder gedruckt), hat sich das gut überlegt. Man fliegt oder zieht nicht einfach so hierher.

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Der Plan war, einen Wasserfall anzuschauen. Den Regenbogen gab‘s gratis dazu.

 

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Das ist kein Wunschkennzeichen, also vom Design her. Jede Nummerntafel auf Hawaii hat einen Regenbogen und Aloha-State aufgedruckt.

Mein Grund war einfach. Ich wollte 2015 – jenes Jahr, in dem meine Weltreise gestartet ist – zum längsten Jahr meines Lebens machen. Und da hat sich Hawaii angeboten, weil der Zeitunterschied zu Wien 11 Stunden beträgt. Wenn daheim der Hauptabend-Film zu laufen beginnt, drehe ich mich noch einmal müde im Bett um und beschließe, dass 7:15 Uhr definitiv keine Zeit ist, um aufzustehen. Ich will mir die Welt lediglich anschauen, ich will sie nicht retten. Und das kann man auch wenn man erst bei hoch stehender Sonne aus dem Schlafgemach auftaucht.

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Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich hochgradig unsympathisch mache: Vor 10 Uhr gehe ich nie zum Entdecken raus. Und seit ich auf Hawaii bin, das auch nur noch barfuß oder in Flip Flops.

 

11 Stunden sind nicht viel. Es war mehr eine symbolhafte Wirkung, von wegen: Ich habe das meiste aus 2015 rausgeholt. Dazu kommt: In diesen 11 Stunden hätte ich die magischsten Momente erleben können.

Hätte.
Konjunktiv.

Denn das mit der Magie war überschaubar. Am Ende landete ich mich mit Christiane, der lieben Freundin, die extra aus Wien angereist war, auf Big Island (der Vulkaninsel) in einem Restaurant mit klebrigen Plastiktischen und einer greisen Bedienung, die ein Krönchen und kurze Khaki-Bermudas trug. Zumindest der Meerblick war schön. Und: Das Ganze war etwas abgeschottet vom Trubel auf der Küstenstraße, wo betrunkene Amis (oder Amis die nur betrunken tun, so genau lässt sich das nie sagen) mit aufgesetzter Heiterkeit 2016-Partyhüte zur Schau trugen und in Sportbars warmes Bier tranken.

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Partner in crime. Christiane kam aus Österreich angereist, um mit mir Hawaii unsicher zu machen,

Am Ende beschlossen wir, zurück in unsere Unterkunft zu fahren, um uns das Feuerwerk vom Balkon aus anzusehen.

„Daheim ist 2016 bereits einen halben Tag alt“, sinnierte Christiane mit Blick auf die Uhr. „Schon komisch.“

„Hmmm“, grübelte ich. „Alle mühen sich ab, um Mitternacht bei ihren Lieben zu sein, anzustoßen und um exakt 24 Uhr ihre geheimsten Wünsche in den Sternenhimmel zu schicken. Dabei ist immer irgendwo Mitternacht. Es ist alles relativ.“

Dann ging das Feuerwerk los. 15 Minuten pyrotechnische Magie in pink, weiß, violett, grün, und künstlich generierten Sternschnuppen. Dazu eine sanfte Brise vom Meer.

„Hat es sich für dich ausgezahlt, Silvester auf Hawaii?“, hat mich Christiane beim Einschlafen gefragt.

„Ja, aber die Amerikaner hätte ich nicht gebraucht“.

Dann haben wir beide gelacht und sind eingeschlummert. Ganz happy. 2016.

Jims Gründe, Hawaii anzusteuern, sind komplexer. Dazu muss ich sagen: Ich kenne Jim nicht wirklich. Er war mein Nachbar in einer der vielen Unterkünfte, die wir in den vergangenen Wochen bewohnt haben. Aber Jim ist einer, der nicht lange um den heißen Brei herumredet. Er schafft es, einem in fünf Minuten sein halbes Leben mitzuteilen. Und daher weiß ich jetzt: Jim stammt vom Festland, genauer gesagt von der Westküste. Sein Sohn ist vor zehn Jahren in San Diego bei einem Autounfall ums Leben gekommen, es war Alkohol im Spiel. Wer getrunken hat? Für Jim ist das nicht wichtig. Er wollte nach dem Vorfall nur weg. Also ist er auf Kauai gelandet. Jetzt will er ein Buch im Eigenverlag drucken, eine verstrickte Geschichte über einen irischen Einwanderer, der mafiöse Geschäfte betreibt. In der Früh schwimmt er im Pool. Und wenn er nicht schwimmt oder schreibt, dann raucht er zu viel. An jeder selbstgedrehten Zigarette zieht Jim so lange, bis sie von selbst ausglüht.

„Darum bin ich also aus Hawaii: I am here to drink, swim – and make love.“ Letzteres kam mit einem lüstern-müden Augenzwinkern, während ich tropfnass im Bikini vor ihm stand. An dieser Stelle sollte erwähnt werden: Jim ist hundert Jahre alt, zumindest sieht er keinen Tag jünger aus. Er ist ein Vietnam Veteran. Und das Auge, mit dem er mir zuzwinkerte, hängt so, dass man das Innere, die feuerroten Schleimhäute seines Augenlids, sieht. Es hängt genauso wie die alten Jeans, die er sichtlich und stolz ohne Unterhose trägt.

Ich muss gehen, Jim“, drückte ich mich peinlich berührt an ihm vorbei.

Während er mir wieder zuzwinkerte.

„I see you around, kid. And then let’s talk about your reason to come to Hawaii …“

Die nächsten Tage war ich damit beschäftigt Jim und seiner rutschenden Hose auszuweichen. „Ich dachte immer, auf Hawaii leben nur Models, Millionäre und schöne Surfer“, habe ich mit Christiane diskutiert. „Statt dessen treffe ich Leute wie Jim. Oder Leute, die mir erzählen, dass hier auf der Insel viele auf Crystal Meth sind.“

„Na ja, die Surfer sind eh da. Aber schön ist keiner von denen. Ich habe bisher nur sonnenverbrannte, ungepflegte Typen gesehen.“ 

„Vielleicht sind wir am falschen Platz?“

„Mag sein. Vielleicht ist aber auch nicht jeder Kelly Slater. Die Inseln sind schweineteuer, darüber beschwerst du dich ja selbst auch. Viele können sich keine vernünftige Unterkunft leisten, vor allem nicht, wenn man wochenlang Wellenreiten will. Möchtest du am Campingplatz schlafen, inmitten von Hühnern, Wildschweinen, Gelsen, ohne Dusche und Klo?“

„Grundgütiger, nein.“

„Dann wird das nicht mit dir als Surferbraut.“

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Surfer in der Dämmerung. Die meisten Wellenreiter hier nehmen das mit der Naturverbundenheit ernst. Soll heißen: sie campen.

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Ein Surfer zum Anbeten am Waikiki Beach. Der bekannteste Wellenreiter der Inseln, und quasi der Gottvater des modernen Surfens, ist Duke Kahanamoku (gestorben 1980). Dem ist ein paar Meter weiter eine Staue gewidmet.

„Wir müssen die Robinson Brüder ausfindig machen, hilft alles nix“.

Halb-Kauai ist in Besitz der US-Familiendynastie Robinson, einem Clan, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts mit Zuckerrohr-Plantagen und Rinderfarmen ein Vermögen gemacht hat. Heute gehört den letzten verbleibenden Erben, den Brüdern Bruce und Keith, die Hawaii-Insel Ni’ihau, die Kauai vorgelagert ist und den Beinamen „The Forbidden Island“ trägt, weil sie unbewohnt und unbesuchbar ist und das auch bleiben soll. Außerdem zählen Bruce und Keith 20.000 Hektar Kauais zu ihrem Familienerbe.

„Ich hab grad gegoogelt: Keith Robinson soll 1941 geboren sein. Der ist 74. Da kannst auch gleich Jim nehmen.“

„Jim ist 100. Mindestens.“

„Aber er wär willig. Und offen für Neues“, hat Christiane gelacht.

Ein paar Tage später sollte die Aufklärung folgen, was aus dem glamourösen Hawaii geworden ist, das man aus Filmen kennt. Dem Hawaii, in dem Elvis Presley bei Sonnenuntergang für Baströckchen-schwingende Schönheiten Gitarre spielte und das Wasser einer frischen Kokosnuss trank. Dem Hawaii, in dem Doris Duke in Honolulu ihr Shangri-La bauen ließ.

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Tom Selleck alias Magnum. Er hat schon viele auf Hawaii gebracht, zumindest modisch. Sein rotes Hawaiihemd ist Kult und gibt’s als Replik zu kaufen. Ich hab’s für den Freund meiner beängstigend klugen Schwestern besorgt. Markus, I hope you like!

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Auch das ist Hawaii. Blumenkränze für Hunde. Mit Leckerlis drin.

„Dieses Hawaii? Das gibt es nicht mehr“, hat Rosemary gelacht, die mir derzeit eine entzückende Garden-Cottage mit Freiluft-Dusche (hallo, Moskitos!) und kitschig lila gestrichenen Wänden vermietet. Rosemary ist Mitte sechzig, trägt ihre weißen Haare zu einem adrett frisierten Pagenkopf, abends ein altmodisches Nachthemd und manchmal weiß ich nicht, ob Rosemary verrückt oder einfach nur cool ist. Weil sie Sachen sagt wie „Du kommst morgen um 8 Uhr zum Frühstück“ – und das in einem Ton, der an Fräulein Rottenmeier oder eine Internatsdirektorin erinnert.

„Rosemary, um 8 Uhr bin ich auf dieser Reise noch nie aufgestanden.“

„Dann wird’s Zeit. Ich drehe die Musik im Garten auf, dann weißt du, wann du aufstehen musst.“ 

Rosemary spielt in ihrem Garten Walzer. Oder manchmal Dancing Queen von Abba, in der klassischen Geigen- und Klavier-Version. Den ganzen Tag schallt die Musik über ihr Anwesen. Sie macht damit nicht nur die Frösche im Gartenteich wahnsinnig.

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Mitten im Pazifik. Rosemary’s Cottages. Der Garten wird täglich mit Walzern beschallt.

 

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Meine Outdoor-Dusche. Mittlerweile hab ich mich daran gewohnt, nackt im Garten zu stehen, und das auch noch vor Publikum. Die Teilnehmer der täglichen Dusch- und Stripshow: Frösche, Geckos und Moskitos. Und Hühner, eh klar.

 

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Dafür ist das Schlafzimmer (m)ein Mädchentraum. Lila! Mit Schmetterlingsmobile!

 

Um 8 Uhr zu einem Johann-Strauss-Stück aus dem Bett zu kriechen – mitten im Pazifik – auch eine neue Erfahrung.

„Also Rosemary, warum Hawaii? Was ist deine Geschichte? Was hat dich hierher geführt? “, habe ich schlaftrunken bei einer aus dem Garten geernteten Papaya gefragt.

„Ich wollte es warm haben.“

Rosemary hat lange in New York gelebt.

„Na ja, warm kannst du es das ganze Jahr auch in Florida haben.“

„Nein, da ist es mir zu schwül. Ich hab alles ausprobiert. Von Osten nach Westen. Ich hab in der Karibik gewohnt. Zu kriminell. Ich war in Arizona. Zu trocken und heiß. Kalifornien? Zu esoterisch. An Hawaii habe ich lange nicht gedacht.“

„Und wie bist du dann trotzdem hier gelandet, Rosemary?“

„Weißt du, es gibt ein Sprichwort: Die Leute, die es Richtung Westen zieht, sind unberechenbar. Die Drogen-Typen bleiben in Kalifornien hängen. Die wirklich Verrückten gehen nach Hawaii.“ 

„Und du bist wirklich verrückt?“

„Ja.“

„Du siehst aber nicht verrückt aus.“

„Das ist ja das Schöne.“

Dann lachte sie wieder dieses Lachen, das großmütterlich verhuscht aber irgendwie auch leicht irre ist. Und während ich ihr helfen wollte, meinen Frühstücksteller abzuservieren, flötete sie nur:

„Nein, mein Herz. Du bleibst sitzen und lässt die Dienstmagd für eure Hoheit arbeiten.“

„Ähem, Rosemary, du bist keine Dienstmagd. Und ich bin keine Hoheit.“

„Gut dann sind wir alle Prinzessinnen.“

„Ich mache ein Upgrade für uns: Wir sind die Königinnen von Hawaii.“

Damit konnte sie leben. Und ich auch.

Hawaii mag nicht da sein, was ich erwartet habe. Mai Tais werden nicht in schön geschliffenen Kristallgläsern serviert. Die Hula-Tänzerinnen trägen keine BHs aus Kokosnuss-Schalen. Die Surfer sind nicht alle Sunnyboys mit ölglänzenden Sixpacks und gut sitzenden Haaren. Und die Ukele spielen offenbar auch mehr die Touristen. Hawaii ist nicht Polynesien, aber auch nicht wirklich Amerika. Es gibt staatliche Krankenversicherung hier, sobald man über 20 Stunden arbeitet. Dafür dürfen Hawaiianer nicht im US-Lotto spielen, wer sein Glück versuchen will, muss am Festland seinen Tipp angeben. Trotzdem: Es ist immer noch ein spannender Ort. Mit lots of Aloha, wie die Leute sagen. Aloha steht für alles. Für Guten Tag, für Auf Wiedersehen, für gute Vibes, für Liebe, für Entspanntheit. Schon Vierjährige surfen hier, stürzen sich unerschrocken in die Fluten, und paddeln so weit raus, dass sie nur noch als kleiner Punkt am Horizont erkennbar sind. Während die Eltern seelenruhig am Strand liegen und plaudern. Sofern überhaupt Eltern da sind. Manche Kinder sind auch allein unterwegs hier. Das Meer ist ihr Spielplatz und jeder vertraut aufs salzige Nass.

„Ich glaub, das ist das Problem: Wir sind nicht so entspannt wie die alle hier“, hat Christiane beim Abschied gemeint, als wir einen Burger auf einem eher runtergekommen aussehenden Parkplatz verspeist haben. Die Surfer-Sitznachbarn haben den Burger und den grindigen Parkplatz als „heaven on earth“ bezeichnet.

„Glaubst du, das wird noch?“

„Na, du hast ja noch zwei Wochen Zeit, um tiefen entspannt zu werden.“

Dann flog sie los in Richtung Heimat.

„Vergiss nicht, was du versprochen hast“, hab ich ihr zum Abschied nachgerufen. „Du musst den Lei (den frischen Blumenkranz, Anm.) bei deinem Zwischenstopp in Los Angeles im Meer versenken und dir was wünschen.“

„Mach ich“, meinte sie. Und schickte später ein Beweisfotos.

Ich hoffe, sie hat sich was Tolles gewünscht. Mein Blumenkranz ist auch schon in den Fluten untergegangen. Was ich mir gewünscht habe? Aloha. Lots of Aloha.

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Am Strand von Kapaa ging mein Lei, mein Blumenkranz, baden. Bye, bye Baby!

 

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