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Empanadas und Psychotherapie

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In Buenos Aires hat jeder sein Binkerl zu tragen. Sogar die Statuen im Stadtteil Recoleta.

 

Erst dachte ich, ich hätte mich verhört. Was nicht groß verwunderlich wäre, immerhin kommt mein Spanisch nicht nur den Argentiniern spanisch vor. Aber mittlerweile dämmert mir: In Buenos Aires rennt offenbar wirklich jeder zum Psychotherapeuten. „Ich muss los, ich habe gleich Analyse,“ höre ich einmal pro Tag, wenn nicht öfter. Im Supermarkt. Von Passanten am Handy. In der U-Bahn. Neulich war sogar mein Tourguide Victoria, eine patente Enddreißigerin, deswegen in Eile.

„Sag mal, Victoria, was habt’s ihr alle für Probleme in Buenos Aires, dass ihr ständig beim Therapeuten sitzt?“, habe ich sie gefragt, bevor sie abrauschen konnte.

Ach, weißt du, wir lieben es einfach!“, lachte sie und meinte: „Ich freue mich jeden Freitag auf meine Sitzung.“

„Jeden Freitag?!“

„Ja, jeden Freitag!“

„Hmmmm,“ druckste ich hier herum, um schließlich doch ganz undiplomatisch mit der Tür ins Haus zu fallen. „Ist es Liebeskummer oder so was?“

„Nein, nein. Alles gut! Ich habe keine Krise. Ich spreche nur gern mit meinem Therapeuten. Meine gesamte Familie ist in Therapie. Meine Freunde sind es. Einfach alle! Mit einer neutralen Person über dein Leben reden zu können ist großartig!“

„Und wie oft sitzt du dann dort, wenn du WIRKLICH mal eine Krise hast?“

„Jeden Tag. Vergangenes Jahr hab ich mich von meinem Freund getrennt, da war ich richtig oft dort.“

Letzteres hat Victoria nicht ohne Stolz gesagt. Weil man es sich in Argentinien, wo der Peso täglich weniger Wert wird und ein Bündel US-Dollar unter der Matratze immer noch als beste Sparmethode gilt, auch leisten können muss, über die Liebe und andere Missverständnisse zu schwadronieren. Eine einstündige Sitzung kostet zwischen 30 und 90 Dollar. Anbieter gibt es genug. Argentinien hat mehr Seelenklempner als jedes andere Land dieser Welt. Laut WHO Schätzungen kamen im Jahr 2012 rund 200 Psychotherapeuten auf 100.000 Einwohner. Zum Vergleich: Daheim in Wien sind es nur rund 80. Sigmund Freud würde sich angesichts dieser Zahlen wahrscheinlich in seiner Urne umdrehen und wettern, man möge seine Asche über dem Himmel von Buenos Aires verstreuen anstatt sie blöd in England rumstehen zu lassen. Denn in Argentinien huldigt man ihm noch. Die Einwanderer aus Europa, Intellektuelle, für die die Lehren Freuds damals „hot new shit“ waren, gründeten schnurstraks  ein Zentrum der Psychoanalyse in der neuen Heimat. Der gepflegte Dachschaden ist in Buenos Aires ein Statussymbol. Man muss die Stadt einfach mögen.

Jetzt könnte man meinen, es reiche aus, Psychologie oder Medizin zu studieren – und zack, schon hat man ausgesorgt. „Schön wär’s“, hat Norma auf meine Feststellung hin trocken gelacht. „Die Konkurrenz ist leider zu groß dafür.“ Norma ist Psychotherapeutin, seit 30 Jahren schon. Ihre Wohnung im Stadtviertel Belgrano, einer noblen Ecke im Norden der Stadt, dient als Praxis. Und in genau dieser bin ich kürzlich gelandet, in einer giftgrün-karierten Küchenschürze, die dem Teint so gar nicht schmeichelt. Da, wo sich frustrierte Pärchen sonst über Sexflauten, Affären und andere seelische Grausamkeiten auslassen (Normas Spezialgebiet ist die Paartherapie, hab ich das schon erwähnt?), übte ich mich darin, unfallfrei die Schale einer Zitrone abzureiben.

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Die Dame links in der Schürze ist Norma Soued, von Beruf Psychotherapeutin. Wenn sie gerade keine kaputten Paarbeziehungen analysiert, unterrichtet sie wie man Empanadas & Co unfallfrei hinkriegt. www.argentinecookingclasses2.com

 

„Nein! Nur den gelben Teil der Schale, nicht den weißen“, wies mich Norma mich zurecht. Sie hat es freundlich gesagt. Aber eben auch so bestimmt, dass man es mit der Angst zu tun bekommt, sogar beim verdammten Zitronenschälen zu versagen. „Halt dich besser daran, was sie dir aufträgt“, flüsterte John, ein Mittfünziger aus England, mir grinsend zu. Er war zum Schneiden von hartgekochten Eiern eingeteilt worden ist. „Das Eiweiß bitte würfelig, den Dotter eher grob“ hatte Norma angeordnet – und John schnippelte seitdem an seinen Eiern rum, als gäbe es einen Preis dafür zu gewinnen.

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Pause vom Zitronenreiben. Hinter mir: Das Therapiezimmer. Hier sitzt Norma täglich mit Paaren, die sich an Gurgel springen. Im besten Fall. Im schlechtesten Fall reden sie nicht mal mehr miteinander.

 

Das Traktieren der Eier und Zitronen war keine ausgefallene Therapietechnik. Ich hatte umgerechnet 70 US-Dollar dafür bezahlt, um bei Norma, der Psychotherapeutin, in den nächsten drei Stunden argentinisch kochen zu lernen. Die Mutter zweier erwachsener Kinder kann nämlich nicht nur Paare, die sich an die Gurgel springen, zur Räson zu bringen. Sie ist auch eine begnadete Köchin – mit ausgeprägtem Geschäftssinn. Zweimal die Woche schließt sie ihre Praxis für jeweils drei Stunden und gibt wahlweise auf English, Spanisch oder Französisch ihre Küchengeheimnisse preis.

Heute am Speiseplan: 1. Empanadas mit Rindfleisch und Paprika-Füllung. 2. Linseneintopf mit Chorizo und Pancetta. 3. Frischgebackene Kekse mit Kokosflocken und dulce de leche-Füllung. Letzteres ist eine Art von Karamell, ähnlich dem English Toffee. Die Argentinier lieben das Zeug. Manchmal beschleicht mich der Verdacht, sie würden sich das Zeug sogar aufs Wurstbrot schmieren, würde man sie lassen. Fast jeder hat einen XXL-Plastiktiegel davon daheim. Sähe die süße Paste bloß ein wenig schmucker aus, würde sie wahrscheinlich sogar die Flagge zieren. Aber ein brauner Fleck auf der Fahne kommt halt nicht gut.

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Hunger? Bitte sehr: Empanadas mit Rindfleisch und Paprika.

 

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Argentinischer Linseneintopf mit Chorizo, Pancetta und einem Hauch Chili.

 

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Alfajores de dulce de leche. Kekse mit Karamell und Koksflocken.

 

„Keine privaten Gespräche beim Kochen“, hatte Norma als Order ausgegeben. „Konzentrieren wir uns auf das Wesentliche“. Doch zwischendrin konnte sie es dann doch nicht lassen, ein bisschen zu therapieren. Meghan und Jason, ein junges Paar aus Chicago, das drei Wochen durch Südamerika reist, war etwa mit dem Keks-Teig zugange. Meghan hatte die feuchten Zutaten in einer Schüssel vermixt, Jason die trockenen. Jetzt galt es, beides zusammenzubringen. Meghan rührte, Jason hob langsam seine Mehl-Backpulver-Mischung unter. „Und … was tut ihr, wenn Meghans Arm vom Rühren müde wird?“, fragte Norma mit listigem Blick. „Ähem, wir wechseln uns ab?“,  versuchte es Jason als Antwort. Die Situation wurde ihm langsam zu heiß, nicht nur wegen der 33 Grad in Buenos Aires. Seine Freundin hatte ihn zum Kochen überredet, von einer Paartherapie vor Publikum war nicht die Rede. „Genau, Jason! Bravo!“, strahlte Norma. „Das ist gute Beziehungs-Kommunikation! So muss es sein! Weiter!“ 

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Auch das ist Kommunikation: Kühlschrankmagneten für Spanisch-Trottel wie mich. Danke, Norma!

 

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Schneller, schneller! Wird der Teig in der Hand warm, fällt er auseinander. Und: Weniger ist mehr. Vor allem was die Füllung betrifft. Man muss das Zeug ja auch noch zukriegen …

 

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… indem man mit dem Zeigefinger den Teig langzieht und ihn dann nach oben mit dem Daumen drückt. Ich bin Linkshänderin und damit offiziell förderungsbedürftig. Zumindest in dieser Sache.

 

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Finde den Fehler! (Eigentlich sind’s zwei). Auflösung: Die Empanada in der untersten Reihe ganz rechts ist mit Hühnerfleisch gefüllt. Erkennbar ist das an der nach oben gedrehten Naht. Was aussieht wie eine Tortellini, ist vegetarisch. Form und Naht der Teigtaschen verraten den Inhalt. Jede Köchin entwickelt ihre eigenen Codes.

 

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Das Geheimnis eines guten, argentinischen Keksteiges? Cognac!

 

Das Gute an Normas Kochklassen ist: Man lernt in drei Stunden nicht nur, wie man die Teigtaschen mit einer fließenden Drehbewegung von Daumen und Zeigefinger verschließt (eine Sache, die bei mir noch dringend Übung braucht, siehe oben). Sie verrät auch, dass ein Schuß Cognac das wahre Geheimnis ihres Keksteigs ist. Dazu kriegt man einen Damenspitz serviert (zum Essen gibt’s natürlich Wein, und keinen schlechten, holla!) sowie einen Crashkurs in Sachen Socialising. Dazu muss man wissen: Die Argentinier trinken Mate-Tee. Nicht das pulverisierte Zeug, das es bei uns im Asia-Laden zu kaufen gibt, in Südamerika gießt man die geschnittenen, unfermentierten Blätter des Matestrauchs mit heißem Wasser auf. Das grüne Gold der Indios beinhaltet soviel Koffein, dass es einem beim ersten Aufguss fast die Augen raushaut. Aber Mate-Tee ist mehr als ein Energiekick, es ist eine Art gesellschaftlicher Superkleber, schließlich trinkt man das bittere Gebräu nicht allein, es wird immer geteilt. Und zwar in Form eines Rituals: Herumgereicht wird keine Tasse, sondern eine faustgroße „kalabasse“, meist die Hülle eines ausgehöhlten und getrockneten Flaschenkürbisses. Dazu gibt es eine „bombilla“, einen Edelstahl-Strohhalm mit einer Spiralspindel am Ende, damit die Blätter nicht irrtümlich eingesaugt werden. Auf Herpes oder Maul- und Klauenseuche wird gepfiffen, jeder saugt an diesem einen Röhrchen. Zeremonienmeister – auf spanisch „cebador“ – ist der, der die Thermoskanne mit heißem Wasser hält. Er gießt nach jedem Tunk die Kalabasse neu auf, damit sie weitergereicht werden kann. „Leute, Achtung!, klatschte Norma in die Hände. „Die kalabasse ist kein Mikrofon, wie wir hier sagen. Soll heißen: Lasst den anderen nicht zu lange auf seinen Mate warten. Man trinkt zügig, und gibt die Sache dann weiter.“ 

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Yerba Mate. Bitter, aber so stark an Koffein, dass es einem fast die Augen raushaut.

 

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Hoch die Tassen? In Argentinien verwendet man für den Tee statt Häferl und Löffel eine kalabasse und eine bombilla.

 

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Die kalabasse ist ein getrockneter und ausgehöhlter Flaschenkürbis. Ach ja, und bitte nicht mit der bombilla umrühren. Das führt nur dazu, dass sich Teeblätter im Spiralfilter einnisten.

 

Hopp, hopp, wieder was gelernt. Drei Stunden mit Normas sind wie drei Wochen in Argentinien: schön, aber intensiv. Danach wollte ich nur schlafen. Betonung auf wollte. Denn natürlich ging nichts, nicht mal mit geschlossenen Vorhängen. Stundenlang lag ich im Bett und fühlte mich ein Eichhörnchen auf Speed. Das Koffein im Mate-Tee. Jetzt beginne ich auch langsam zu verstehen, warum in Buenos Aires keiner vor 21 Uhr essen geht, sogar 90-Jährige krebsen um weit nach Mitternacht noch fidel auf den Straßen rum. Am Ende machte ich mir einen Notiz in meinen Kalender. Nächste Woche. Mate-Tee kaufen und vor meiner ersten Tango Stunde trinken. Die fängt nämlich nicht vor 22 Uhr an. Und danach geht es noch in eine Milonga, eine Dancehall für Tango. Open end. Uff.

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