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Sperrmüll und leiser Sex. Township: Die andere Seite der Stadt

Um eine Sache hab ich in Kapstadt bisher immer einen großen Bogen gemacht: Townships, (teils) illegale Baracken-Siedlungen aus Wellblech, Plastik und Sperrmüll. Mit dem Bus bin ich schon ein paar Mal daran vorbeigefahren. Aber nachdem keiner der mitreisenden Touristen ausgestiegen ist (obwohl Township-Bewohner Führungen durch ihre Viertel  anbieten) und alle an der Station immer nur betreten ihre Rucksäcke und Spiegelreflexkameras an sich gedrückt hielten, dachte ich: „Hmm, wird schon was dran sein.“ Und die deutsche Blondine mit den Wagenrad-großen Goldcreolen hatte jetzt auch nicht so Unrecht, als sie zu ihrer Sitznachbarin meinte: „Dat kann man echt nicht machen, da durch spazieren und die armen Leute anstarren wie im Zoo, ne?“

Doch vorgestern, als sich die windschiefen Hütten am Fuße der Zwölf-Apostel-Bergkette wieder näherten, dachte ich plötzlich: Goldcreolen-Tussi hin, Spiegelreflexkamera-Touristen her. Die Sache komplett auszublenden und so zu tun, als bestünde Kapstadt nur aus seinem Hafen, dem Tafelberg, weißen Sandstränden und preisgekrönten Weingütern, das wär auch verlogen. Also bin ich im Township Imizamo Yethu raus und wurde von Thobeka – verspiegelte Ray Ban Brille, coole Frisur, engsitzendes Stretchkleid – in Empfang genommen.

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Thobeka. 36, unverheiratet („Das ist auch gut so!“) und mit jeder Ecke im Township vertraut.

„Achtung, tote Ratte!“, war einer ihrer ersten Sätze, als wir die schmalen Schotterwege, die mitten durch die Wellblech-Siedlungen führen, betraten. Im Rinnsal: ein verschrumpelter Nager mit stumpfem Fell und trüben Augen. Dazu zerfetzte Plastiksackerl, alte Haargummis, ein zerrissenes T-Shirt, Geröll, und ein abgebrochener Flaschenhals. „Offene Sandalen sind hier nicht die beste Wahl. Pass auf, dass du nicht ins Nasse trittst“, meinte Thobeka mit Blick auf mein Schuhwerk. „Warum? Hat’s hier gestern soviel geregnet?“ – „Das Wasser kann alles sein. Wir haben hier keine Duschen und Toiletten gibt´s auch nicht genug für alle.

Rund 35.000 Menschen leben in Imizamo Yethu dicht an dicht auf 0,6 Quadratkilometern. Die Trampelpfade, die durch das Slum-Viertel führen sind oft nicht breiter als einen Meter. Und der Kontrast könnte nicht größer sein: Hier das Township mit 90 Prozent schwarzen Bewohnern, gegenüber ein „weißes“ Villenviertel und der malerische Fischereihafen von Hout Bay, in dem sich Seelöwen vor entzückten Touristen die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Das hügelige Areal wurde 1990, nach dem Ende der Apartheid, von der Regierung zur Verfügung gestellt – mit dem Ziel, illegale Siedlungen der Stadt einzudämmen und Strukturen zu schaffen. Und auch wenn das mit der Rassentrennung seit 25 Jahren offiziell Geschichte ist, Imizamo Yethu ist der Beweis, dass da noch einiges aufzuarbeiten ist.

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Von der „weißen“ Seite sieht das Township so aus.

 

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Der Blick von der „schwarzen“ Seite:  Hütten aus Wellblech. Im Sommer brüllend heiß, im Winter saukalt. Und nach spätestens einem Jahr ist das Zuhause rostig.

Thobeka, deren Name in Xhosa – einer der elf Amtssprachen Südafrikas – „Demut“ bedeutet, lebt seit Anfang an hier. Sie ist 36, hat eine zehnjährige Tochter, deren Vater sie definitiv nicht heiraten will („Warum sollte ich? Kaum hab ich den Wisch unterschrieben, muss ich nach seiner Pfeife tanzen“) und füttert noch ihren 12-jährigen Nachzügler-Bruder durch, nachdem die Mutter an Tuberkulose gestorben ist und der Vater sich vertschüsst hat. „Viele haben hier Tuberkulose, und ein Drittel der Bewohner ist HIV positiv,“ erklärt Thobeka, während sie mich hinter sich herschleift. Dann lacht sie laut und rau, klopft mir auf die Schulter und meint: „Keine Angst, Sweetheart, ich hab beides nicht.“

 

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Die Wäsche wird jeden Tag per Hand gewaschen. Imizamo Yethu ist kein Platz, wo die Kleidung lange sauber bleibt.

Thobeka erzählt die Dinge unaufgeregt, fast lapidar. Während sie mit mir durch ihre Nachbarschaft stapft, grüßt sie mal hier und da, weicht tropfnasser, aufgehängter Wäsche aus, futtert genüsslich ein paar frittierte Teigbällchen und weist mich auf Details hin, die das Leben im Wellblech-Chaos zumindest ein wenig organisieren. In einem kleinen Geschäft, das von löslichem Kaffee bis hin zum Waschmittel das Nötigste führt, zeigt sie auf eine Schachtel mit ungeöffneten Briefen, die wild auf einem Haufen liegen.
„Das ist unser Postbüro.“
„Versteh ich nicht.“
Na, alle Briefe kommen hier an. Hauszustellung gibt´s nicht, wir haben ja auch keine Straßennamen oder Hausnummern.“
„In DIESEM kleinen Geschäft sammelt ihr die gesamte Post für 35.000 Einwohner?!“
Nein. Das Township ist in Zonen eingeteilt. Die muss man auch als offizielle Wohnadresse angeben. Hier wird nur die Post für Zone A bis C geliefert.“
„Und dann muss man jeden Tag in der Schachtel herumkramen, ob was angekommen ist?“.
„Ja.“

Zwei Sekunden später lotst mich Thobeka in einen fensterlosen 1-Zimmer-Verschlag, in dem eine alte Frau, ihre Tochter und deren zwei kleine Kinder leben. Zwei Betten für vier Personen. Die Hütte ist aus Wellblech, Sperrholz-Teilen, Plastiksäcken, Ästen und alten Zeitungen gebaut. „Der Wind und Regen in Kapstadt können stark sein, wir bessern täglich Schäden an den Hütten aus.“ – „Womit?“ – „Na, mit allem was man so auf der Straße findet.“ Von der Decke baumeln auf Plastikkleiderbügeln die frisch gewaschenen Schuluniformen der Kinder. „Wie kocht man hier?“ – „Da hinten, zwei kleinen Elektro-Kochplatten.“ – „Ja, aber woher kommt der Strom?“ – „Den kriegen wir von der Regierung, jeder Haushalt erhält monatlich ein gewisses Kontingent.“ – „Und wo geht man auf die Toilette?“ – „Wir haben in dieser Ecke drei Spültoiletten für 100 Menschen.“ – „Das reicht?“ – „Nein, aber es ist ein Anfang.“

Als wir weiterziehen, verdunkelt sich Thobekas Blick. Vor ihr liegt eines der wenigen gemauerten Häuser, Phillip’s Taverne. „Zu viele Alkoholiker“, schnauft sie. „Viele Männer trinken. Wir haben 60 Prozent Arbeitslosigkeit hier.“ Und wie auf Kommando torkeln ein paar junge Burschen aus der Taverne. „Gestern Nacht hat hier ein paar Straßen weiter ein Kerl seine Freundin erschossen.“ – „Ein Eifersuchts-Drama?“ – „Keine Ahnung. Ist das wichtig? Ich weiß nur, dass sie tot ist. 26 war das Mädchen.“

Diese Geschichte ist jetzt, zu Mittag, das große Thema in Imizamo Yethu. An jeder Ecke wird darüber diskutiert. Nur in einem Haus versucht man das Thema auszublenden – im lokalen Kindergarten, der wie ein Hochsicherheitstrakt mit Stacheldrahtzaun und schwerem Kettenschloss verbarrikadiert ist. Thobeka führt mich durch das Haus. Es ist mucksmäuschenstill, die Kleinen liegen auf Matratzen am Boden. „Mittagsschlaf“, flüstert sie. „Die Kinder bekommen hier auch zu essen, ist aber nicht ganz billig.“ – „Was kostet der Kindergarten?“ – „250 Rand im Monat.“ Umgerechnet rund 16 Euro. „Und was zahlt man hier als Bewohner an Miete für den Grund oder die Hütte?“ – „Zwischen 500 und 750 Rand.“  Thobeka hat dieses Geld bisher immer noch aufbringen können. „Ich arbeite als Haushälterin, als Näherin, als Tourguide. Es geht sich immer irgendwie aus. Weißt du, es gibt sogar Wartelisten für das Township, die maximale Bewohnerzahl ist erreicht.“

 

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Mittagsschlaf im Kindergarten des Townships.

 

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Nur der kleine Mann (2. Reihe, 3. von unten) will nicht so Recht.

Zum Schluss, als wir wieder zur Bushaltestelle gehen, reden wir von Frau zu Frau. Und wie es ist, in einer Wellblech-Hütte eine gewisse Privatsphäre zu behalten. „Wenn du Sex haben willst, muss du warten, bis die Kinder schlafen – und dann extrem leise sein, die Nachbarn hören ja alles“, lacht Thobeka. „Oder aber du gehst zu Freunden. Babys machen ist gar nicht so einfach bei uns.“ – „Wo würdest du wohnen wollen, wenn du es dir aussuchen kannst und Geld keine Rolle spielt?“ – Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen. „Hier, in Hout Bay. Nur in einem schöneren Haus.“

Nachsatz: 24 Stunden nach meinem Besuch hat in Imizamo Yethu zu Mittags ein Feuer gewütet. 200 Menschen haben ihr Zuhause verloren, 30 Hütten sind abgebrannt. Ich hoffe, Thobekas Wellblech-Verschlag steht noch. Und wenn nicht? Wird sie sich auch nicht unterkriegen lassen, schätze ich. „Wenn eine Hütte umfällt, bauen wir sie wieder auf.“

 

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