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Das Gras ist schuld. Warum in in Kapstadt zur Katze geworden bin

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Die Haare sitzen nie in Kapstadt. Zuviel Wind, immer und überall. Aber das tut der Liebe keinen Abbruch.

Wer mich länger als fünf Minuten kennt, weiß: New York City ist die längste Liebesbeziehung, die ich bisher in meinem Leben hatte. Und das will was heißen: Auch wenn ich die Stadt regelmäßig als „money sucking bitch“ verfluche, weil mich jeder Besuch an den Rand meiner Kreditwürdigkeit bringt – ich bin dem Big Apple seit fast 20 Jahren verfallen. Die Amour fou begann mit 18, als ich als Au Pair in New Jersey arbeitete. 45 Minuten fuhr man von dort in die große Stadt – und ich bin oft nach Manhattan gefahren.

Später, nach dem Studium und den ersten Jobs, bin ich sogar rübergezogen in die USA. Keine Ahnung, ob ich zu schwach oder New York zu stark war: Ich kam müde, ausgelaugt und abgebrannt nach Hause zurück – und schmollte („Aus jetzt, wirklich! Die money sucking bitch und ich haben abgeschlossen!“). Ein Jahr lang war ich wütend. Dann kam die Sehnsucht zurück. Nach dem Duft von gebrannten Mandeln in der Straße. Den Ratten in der U-Bahn. Den verglasten Hochhaus-Türmen. Und diesen New York Minutes, die jeden Tag um 360 Grad drehen können. Man könnte mich auch die inoffizielle Botschafterin des Big Apple nennen. Ich habe bisher jeden Reisewilligen ungebeten und fast fanatisch niedergeredet. „Buch den Flug! Mach schon! Du wirst es nicht bereuen. Es ist die tollste Stadt der Welt.“

Tja. Und jetzt? Ist New York von seinem Stockerl runter geplumpst. Zwei Wochen Kapstadt – und die Liebe war futsch. Kein Hormonrausch, keine klassische „Das Neue ist anfangs immer interessanter“-Euphorie. Läge ich auf der Therapeutencouch, würde ich sinnieren: „Herr Doktor, auch wenn Sie mich jetzt für eine treulose Schlampe halten: Das, was ich in New York gesucht habe – nämlich viele Welten in einer – bietet Kapstadt genauso. Nur billiger. Und vor allem viel schöner: Am südlichsten Punkt von Afrika hat man sicher genau so viele Probleme wie im Big Apple, aber zumindest ist hier weniger Hektik, es gibt keine 1.300-Dollar-Zimmer (die eigentlich eher das Wort Drecksloch verdienen) oder tödlich kalte Winter. Und im Restaurant MUSS man mittags ein Glas Wein trinken.“ Außerdem: Die Luft ist besser. Entweder weht’s vom Tafelberg runter oder vom Atlantik rüber.

 

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Man könnte auch Bar dazu sagen. Aber „Husband Daycare Center“ klingt einfach netter.

Und ha, die Sache mit den Sonnenuntergängen! Was ein echter Kapstädter ist, dem ist der Sundown(er) heilig. Das heißt: Nach der Arbeit wird nach Möglichkeit auf den Horizont gestarrt, auch wenn es nur für ein paar Minuten ist. Das machen Gangster-Rapper genauso wie Anzugtypen mit dynamischer Gelfrisur. Manche steigen an der Küste nicht mal aus dem Auto aus, Drive thru für Romantiker. Und Samstag Früh hört man hier statt „Hilfe, ich habe einen Hangover“ nur „Ich war schon Radeln/ Paragliden/ Surfen/ Bergsteigen / Joggen und geh jetzt dann jetzt Picknicken“. Einzig die landesweite Leidenschaft für Biltong – luftgetrocknetes und für meinen Geschmack viel zu salziges Fleisch, das nach in Putzmittel getauchter Ledersohle schmeckt  – ist mir schleierhaft. Und was an Rugby so spannend sein soll? Nun ja. Man muss ja nicht alles verstehen.

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Biltong. Luftgetrocknetes Fleisch (in diesem Fall ist’s sogar Fisch). Schmeckt so wie es aussieht. Und das ist noch diplomatisch ausgedrückt.

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Aber genug geschwämt von der Stadt an sich, ich will ja nicht schon wieder eine fanatische Tourismusbotschafterin werden. Wofür ich Kapstadt wirklich dankbar bin, ist, dass mich die 4-Millionen-Metropole dazu bringt, nett zu mir zu sein. Und das war ich schon lange nicht zu mir. Cape Town hat mich in eine Katze verwandelt, die rund um die Uhr schnurrt. Purrr. Purrr. Wenn ich Lust darauf habe, schlunze ich bis mittags im Bett herum und strecke die Pfoten lediglich aus dem Bett, um nach den Gummibären am Nachttisch oder dem iPad zu greifen. Purrr. Mein Kühlschrank ist gefüllt mit Rosé-Prosecco, Erdbeeren, Avocados, frischen Thunfisch-Steaks, Hummus und Fair-Trade-Bitterschokolade. Purrr. Wenn ich die Wahl zwischen „Mittagsschlaf oder noch einer Sehenswürdigkeit“ habe, entscheide ich mich in 99 Prozent der Fälle für den Mittagsschlaf. Doppel-Purrr. Ich lese die südafrikanische Glamour, Grazia und andere Frauenmagazine und philosophiere über so essentielle Dinge wie: „Daheim ist jetzt Winter, hier beginnt mit Weihnachten die Bikinisaison. Heißt das, dass H&M und ZARA in Südafrika die Kollektion verkaufen, die wir schon hatten oder die wir erst kriegen werden?“ Und wie oft liege ich einfach im Park im weichen Gras, ohne Picknickdecke, Haut auf Grün, um den Vögeln beim Zwitschern zuzuhören oder dem Meer, wie es an die Küste klatscht! Ich finde, man sollte viel öfter im Gras liegen, ohne dabei an Zecken oder Grasflecken im Kleid zu denken. Im Gras zu liegen ist extrem heilsam. Die grünen Flecken gehen wieder raus. Die Zecken notfalls auch.

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Ja, die Sache mit dem Gras. Eine gute Sache, nicht nur in Kapstadt.

Und dann natürlich Phil, mein tinder-Fundstück. Gewitzt, gescheit, genau richtig. Er erklärt mir Dinge über Südafrika, die ich zugegebenermaßen auch erfahren würde, wenn ich richtige Zeitungen aufschlagen würde (sprich: NICHT die Mode- und Beziehungsseiten der südafrikanischen Glamour). Aber das Land von ihm bei einem Glas Wein erklärt zu bekommen ist einfach netter. Er weist mich darauf hin, dass die Studenten gerade auf die Barrikaden gehen, um gegen Studiengebühren zu kämpfen, Tränengas und Schusswaffen inklusive. Er sagt Dinge wie: Fahr in den Süden nach Kalk Bay, dort gibt’s im Fischereihafen bei Kalky’s die besten Fish & Chips der Stadt – und Seelöwen kannst du dort auch beim Schwimmen zusehen. Und genau so passiert es dann auch. Nur, dass nicht ein Seelöwe vor meinen Füßen im Wasser taucht, sondern gleich drei. Er kreischt wie ein wildgewordener Esel und fragt: „Welches Tier ist das?“ und schickt mich dann auf Bildungsreise in die Pinguin-Kolonie nach Boulder’s Beach.

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Fish & Chips von Kalky’s, mit Snoek und Calamari. 10.000 Kalorien. Und jede davon ein Genuss.

 

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Am „Nebentisch“: ein Seelöwe. Einfach so. Weil er mittags halt mal gerne aus dem Wasser steigt, um bei den Fischern ein paar Fischköpfe abzugreifen.

 

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Diese Dame hat sich nicht namentlich vorgestellt, aber sie schwamm auch kurz vorbei, um beim Lunch Hallo zu sagen.

 

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Selfie mit Pinguinen.

 

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Der Poser unter den Pinguinen. Stand eine halbe Stunde geduldig fürs Foto still.

Ich könnte ewig weiter schreiben. Aber das interessiert keinen. Ich weiß nur: Abends, wenn ich die Stadt in der Dusche abgewaschen habe und mit einer Gesichtsmaske und einer frischen Brise vom Balkon vor dem Computer sitze, um meine Mails zu checken, denke ich: I am a lucky cat. Jetzt muss ich als notorische Links-Rechts-Verdreherin lediglich die Sache mit dem Linksverkehr hier besser lernen. Jede Ampel ist eine Todesdrohung, zumal das mit dem Fußgängersignal in Kapstadt nicht wirklich funktioniert. Es ist immer rot, auch wenn ich eigentlich grün haben müsste. In diesen Kreuzungs-Momenten wird mir bewusst: Schnurrende Katze hin oder her. Bei aller Entspanntheit muss hin und wieder doch das Hirn eingeschalten werden. Sonst ist die Kitty cat demnächst tot und plattgefahren. Purrrrrtsch.

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