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Tierra Santa. Oder: Selfies mit Jesus

 

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Tierra Santa, das Heilige Land, zehn Kilometer von Buenos Aires’ Stadtzentrum entfernt. Plastik wird groß geschrieben hier.

 

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Brave new world: Ein Flugzeug braust übers „alte“ Rom.

 

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Plastikpalme mit Mehrwert. Diese sorgt abends für gespenstisches Licht, wenn Jesus am Kreuz abhängt.

 

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Der gläubige Besucher muss auch essen. Restaurants wie diese gibt es in Tierra Santa viele.

 

Ich hab’s angekündigt. Und ich hab’s getan. Ich bin ins Heilige Land gefahren. Nein, nicht nach Jerusalem. Da war ich schon mal vor sechs Jahren, um an der Klagemauer ein paar Wünsche zu deponieren (danke ans Universum an dieser Stelle, hat wunderbar geklappt!). Ich weiß noch, als ich meinen vollgekritzelten Zettel endlich in die Ritzen der Steinmauer stopfen konnte, ist mir ein Fingernagel eingerissen und mein leise gefluchtes „Fuck“ kam bei den umstehenden Damen, die ins Gebet vertieft waren, nicht wahnsinnig gut an.

„Deinen Nägeln wird diesmal nichts passieren“, hat Federico, ein Bekannter aus Buenos Aires gemeint, als ich ihm von meinem Plan erzählte. „In Tierra Santa ist alles aus Plastik. Die Mauern. Die Palmen. Ich glaube, sogar die Kamele sind unverrottbar dort.“

„Die Kamele sind mir wurscht,“ hab ich gelacht „Ich fahr’ ja wegen Jesus hin. So eine Auferstehung sieht man nicht alles Tage.“

Bevor mich jemand wegen Blasphemie ans Kreuz nagelt: Ich hab Tierra Santa, den einzig religiösen Themenpark Lateinamerikas am Stadtrand von Buenos Aires, nicht erfunden. Die Anlage, in der zu jeder vollen Stunde ein überdimensionierter Plastik-Jesus aus einem Pappmaché-Berg aufersteht, ist seit 15 Jahren in Betrieb. Angeblich, um einer breiten Bevölkerungsgruppe die Geschichte des Christentums näher zu bringen. Ich bin mir da nicht so sicher. Mittlerweile hege ich den Verdacht, das religiöse Disneyland ist vor allen für gelangweilte Nonnen gemacht, die außerhalb der Klostermauern mal was erleben wollen. Girls just wanna have fun. Auffallend viele Nonnen besuchen Tierra Santa.

 

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In Tierra Santa gibt es jede Menge Nonnen. Gladiatoren findet man hier auch (siehe unten). Letztere arbeiten hier. Die Nonnen sind nur auf Betriebsausflug.

 

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Falscher Esel. Echtes Stroh.

 

Was ihnen hier so gefällt? Keine Ahnung. Ich habe ihr aufgeregtes Geschnatter nicht verstehen können. Mein Spanisch ist nicht wirklich besser geworden. Mea culpa. Und auch sonst war’s mit der Informationsaufnahme nicht weit her, obwohl ich die erste halbe Stunde artig den Tourguides hinterher geschlichen bin. Frauen in historisch anmutenden Kostümen, die aussehen sollen wie Palästina rund um Christi Geburt, erklären mit Hilfe von Megaphonen jede Station. En espanol, claro. Das mit der Geburt von Jesus Christi hab’ ich noch geschnallt. In einer Pappmaché-Grotte wird in einer zehnminütigen Show die Geschichte der Ankunft des Heilands erzählt – mit Hilfe einer Nebelmaschine, lebensgroßen Plastikfiguren und bunten Scheinwerfern, die an eine Dorfdisco erinnern. Während Maria und Josef lediglich ihre Köpfe sanft bewegen können, haben die Heiligen Drei Könige sogar einen Mechanismus eingebaut, der sie niederknien lässt. Ummmpfff, ummmpfff, macht es immer dann, wenn der technische Direktor von seinem Schaltpult aus das Knöpfchen zum Kniegang drückt und einen lila Lichtstrahl auf Caspar, Melchior und Balthasar richtet. Ummmpfff, ummmpfff, macht es, wenn das Jesuskind in der Krippe hin-und herwackelt.

 

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Alles folgt auf ihr Kommando! Und wer sich abseilt, muss drei Mal den Rosenkranz beten. Oder so. Der hängt praktischerweise schon um den Hals.

 

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Nebelmaschine und ein paar Plastikengel an der Decke. In der Mitte liegt das Jesuskind. Erleuchtet, im wahren Wortsinn.

 

Draußen im Tageslicht wurde mir klar: Die Palästinenserbraut und ihr Megaphon bringen mich nicht weiter. Denn warum in Tierra Santa das Römische Reich samt Gladiatoren gleich neben Jerusalems Klagemauer angesiedelt ist, wäre sogar mit Spanisch-Kenntnissen schwer nachzuvollziehen. Also hab ich mich allein auf den Weg durch die Pilgerstätte gemacht. Ich habe Plastik-Esel gestreichelt. Mich auf Kamele gesetzt. Unter Plastikpalmen Schutz vor der brütenden Nachmittagshitze gesucht. Ein Blick auf die Uhr ließ mich kurz verzweifeln: „Noch 45 Minuten bis Jesus aufersteht“. Hmmm. Was tun? Erstmal bei Noah und seiner Arche vorbeischauen. Check. Dann: Mutter Theresa einen Besuch abstatten, nach Indien kommt man schließlich auch nicht alle Tage. Check. Ach ja, und ums Eck stand Franz von Assisi rum. Eh klar, aus Plastik. Und mit einer Taube in der Hand. „Weißt du, Franz“, habe ich der Figur – bereits leicht sonnenstichig – zugeflüstert. „Deine Tauben nennt man heutzutage Ratten der Lüfte. Die kämpfen in der Stadt mit Imageproblemen, außer sie sind weiß und schwirren für Hochzeiten rum.“ Keine Reaktion von Franz. Nicht mal ein mechanisches Kopfnicken. Hmmm. Vielleicht ist ja Jesus gesprächiger. Und wenn man schon vom Teufel spricht: Wo ist der überhaupt?!

 

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„Hallo, Franz von Assisi. Was hast du da?“

 

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„Ah, eine Taube. Nette Viecherl, gell? Haben heute nur ein echtes Imageproblem, man nennt sie Ratten der Lüfte.“

 

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„Geh, Franz, sag doch was. Nein? Na, dann halt wenigstens still fürs Foto“.  Solche Sachen passieren, wenn man einen Sonnenstich hat.

 

Ein Blick auf den Lageplan von Tierra Santa offenbarte: Jesus ist überall. Am Ölberg. Am Gipfel des Pappmaché-Hügels, hängend am Kreuz. Und in der sogenannten Herzensgrotte, gleich darunter. Also hab ich mich auf dem Weg zu ihm gemacht. Und eigentlich sind die Nonnen schuld, dass das Ganze in eine Selfie-Session ausgeartet ist. In der Herzensgrotte standen nämlich bereits ein paar Glaubensschwestern rum, um Erinnerungsfotos mit ihrem Chef zu machen. Das wollte ich auch. Ein Foto mit Jesus, wer hat das schon? Also hab ich eine Nonne gebeten, für mich abzudrücken, um bei Rückgabe der Kamera zu erkennen: Die gute Frau mag viele Talente haben, aber das Fotografieren zählt definitiv nicht dazu. Alles verwackelt, unscharf oder abgeschnitten. Mit einem freundlichen „Gracias“ trollte ich mich zum Ölberg. Nur Jesus und ich. Keine Nonnen, keine Palästinenserführerinnen, keine plärrenden Kinder. Perfekt. Zumal Jesus ein dankbarer Fotopartner ist. Er hält still. Notfalls auch stundenlang.

 

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„Dio mio! Vater, ich wollte das nicht. “ Jesus schlägt am Ölberg die Hände über dem Kopf zusammen. Schon wieder so eine Wahnsinnige, der fad im Schädel ist.

 

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Hand aufs Herz, ein Selfie geht noch …

 

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Tataaaa!

 

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Und noch eins, weil ’s so schön ist. Wenn das mal nur die Nonnen sehen …

 

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„Yo, yo, yo! Jetzt ist aber Schluss“. Die Körpersprache des Heiland ist eindeutig.

In meinem Fall musste er 45 Minuten posen. Dann ertönten endlich die ersehnten Halleluja-Gesänge über dem Gelobten Land und jeder beeilte sich, zum Berg der Kreuzigung zu laufen. Die Auferstehung Jesu! Jetzt! Live!

Erst ragte nur der Kopf aus dem Berg. Dann kam der Sohn Gottes, made in China, Stück für Stück in voller Pracht, mit weit ausgebreiteten Armen und stolz nach vorne gerichtetem Blick. Die Nonnen strahlten. Die Kinder staunten. Ich auch. Denn Jesus vergisst auf keinen, auch nicht auf die Umstehenden auf den billigen Plätzen, die es verabsäumt hatten, direkt vor dem Spektakel einen Sitzplatz zu ergattern. Ummmpfff, ummmpfff. Auf Knopfdruck bewegte sich der riesige Plastikkopf huldvoll nach links, dann nach rechts und wieder nach vorne. Und unter bombastischen Glockengeläut zog Jesus sich nach drei Minuten Erscheinung wieder in seinen Pappmaché-Berg zurück.

 

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Er kommt! Der Kopf ist schon zu sehen!

 

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Der Heiligenschein sitzt. Das Wetter passt.

 

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Es ist vollbracht!

„Und … war schon Auferstehung? “, texte meine Freundin Tina aus NY mich an.

„Ja, gerade eben. Für drei Minuten. Mit Halleluja gekommen und mit Glockengebimmel wieder abgetaucht,“ schrieb ich und schickte ein Beweisfoto nach.

„Unglaublich. Das war alles???“, kam es zurück.

„Yep. Was erwartest du? 2.000 Jahre Leiden und drei Minuten Höhepunkt. Wie im echten Leben und in Beziehungen auch.“

Dann machte ich mich auf den Weg nach Hause. „Come again!“, rief mir ein gelangweilt herumstehender Gladiator– ein argentinischer Statist in Lederrock und Plastikhelm – am Ausgang nach. Er hatte mitbekommen, dass ich aufgrund der mangelnden Spanischkenntnisse ein wenig verloren war. „We also do resurrection at night. It is beautiful and better for photos.“ „Ja, mal schauen“, gab ich zurück. Dann sah ich die Fotos auf meiner Kamera durch – und beschloss: Rückkehr unnötig. Jesus hat seine Sache gut gemacht. Halleluja.

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