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Buenos Aires Totentanz

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Der Cementerio Recoleta in Buenos Aires, letzter Treffpunkt für Reich & Schön. Warum ein Grab kaufen, wenn man auch eine Gruft haben kann? Eben.

 

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Diese junge Dame starb mit knapp 20 Jahren. Ihr Vater ließ ihr ein gigantisches Totenhaus bauen, mit einer Statue der Verblichenen samt Lieblingshund davor.

 

Vor Beginn dieser Weltreise habe ich mein Testament gemacht. Nicht, weil ich vorhabe, demnächst abzutreten. Im Gegenteil. Ich lebe sogar ziemlich gern. Aber man weiß ja nie, was einem so passiert. Das hat weniger mit einer düsteren „Das Glas-ist-halb-leer“-Anschauung zu tun als mit einer Milchmädchenrechnung. Okay, alle, die mich besser kennen wissen, dass ich ein Blitzgneißer in Sachen Zahlen bin. Aber die nachstehende Kalkulation geht sogar in mein kleines Hirn rein: Man multipliziere den täglichen Aktionsradius in Kilometern mit der korrelierenden Anzahl von Passanten, tollwütigen Straßenkötern und Kamikaze-Fahrern – und voilà, schon sind die Chancen darauf ins Licht zu gehen größer als wenn tagein tagaus im schön gepolsterten Bürosessel verharrt. Mein Alltag war ein Standbild. Ich hab das Standbild gemocht, keine Frage, vor allem weil es so wunderbar vorhersehbar war (habe ich erwähnt, dass ich ein Kontrollfreak bin?). Die tägliche Waltraud-Standbild-Show zeigte: Ich im Auto zur Arbeit. Ich vor dem Computerbildschirm. Ich in Meetings. Ich, Trash-TV schauend. Ich mit Freunden beim Essen. Ich mit Gummibären und Feuilleton-Blättern im Bett.

In dieser Gangart passiert wenig, das akut bedrohlich für Leib und Leben wäre, außer der Trash TV-Sache vielleicht. In elf Monaten rund 50.000 Flugmeilen unterwegs zu sein hingegen vervielfacht das Ablebensrisiko um einiges.

Auf diese Erkenntnis hin musste ich kurz schlucken. Dann habe ich „Vorlage Testament  Österreich“ gegoogelt und mit Hilfe der Online-Serviceseiten der Stadt Wien am Computer einen Wisch verfasst, der ungefähr so lautete: „Ich, geboren am …, setze in Vollbesitz meiner geistigen Kräfte meine beängstigend kluge Schwester zu meiner Universalerbin ein. Sie hat vollen Zugriff auf mein Bankkonto x und das Sparbuch y. Dieses Testament gilt bis Oktober 2016 oder bis zum Ende meiner Weltreise.“

Das war’s. Ein Ausdruck liegt –  unterschrieben und datiert – im Safe der eben Erwähnten. Dass sie überhaupt so was wie einen Safe in ihrer Wohnung hat, war eine Bestätigung dafür, dass sie die richtige Frau für den Job ist, sollte es denn ein Job werden.

 

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Auch das ist Recoleta: Kein Hells Angels Grab, ich schwöre!

 

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Morbid, schön.

 

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Grün hat eher Seltenheitswert hier. Statt dessen gibt’s viel Stein.

 

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Seit Monaten habe nicht mehr an das Testament gedacht, doch dieser Tage fiel es mir in Buenos Aires wieder ein. Und zwar, wenig überraschend, am altehrwürdigen Friedhof im Norden der Stadt, dem Cementerio Recoleta. Der ist nicht nur berühmt, weil ein Haufen argentinischer Ex-Präsidenten, Kriegsgeneräle und Schriftsteller einbalsamiert in Mausoleen rumliegt. Nein, auch Argentiniens ehemalige First Lady, Eva Perón, hat hier ihre letzte Ruhestätte gefunden. Evita, geboren Duarte, galt als Staatsheilige und wurde von Pop-Queen Madonna mehr recht als schlecht kopiert. Die blonde Schauspielerin und Sängerin starb im Juli 1952 mit nur 33 Jahren in Buenos Aires an Gebärmutterhalskrebs. Und dass sie heute in Recoleta in der Familiengruft liegt, gleicht einem Wunder. Denn was nach ihrem Tod mit ihrem Körper aufgeführt wurde – oh my!

Ohne groß ins Details gehen zu wollen: Ihre einbalsamierte Leiche ist ordentlich rumgekommen, vor allem unter Nekrophilen. Dabei war sie selbst gar nicht scharf drauf, für die Ewigkeit konserviert zu werden. Aber ihr Mann hatte früh erkannt, dass eine gut erhaltene Evita das Volk besser bei Laune hält als eine gut gemachte Steuerreform. Zwei Jahre werkelte also nach der öffentlichen Aufbahrung ein spanischer Pathologe am toten Körper der schönen Frau. Der Dottore soll ein bisschen wahnsinnig und der Verblichenen verfallen gewesen sein. Sogar drei Wachskopien von Evita wurden angefertigt, um Leichenräuber zu verwirren. Am Ende wurde der leblose Körper trotzdem gestohlen, wieder gefunden, jemand schnitt der Dame einen Finger ab, um sicher zu gehen, dass es wirklich Evita war, alles ein großes Drama. Evita wurde heimlich nach Italien verfrachtet und lagerte dort 14 Jahre, bis ihr Mann – mittlerweile im Exil im Spanien lebend und wieder neu verheiratet –  sie nach Madrid bringen ließ. Und dort wurde es richtig gruselig: Perons Privatsekretär, von seinem Chef wegen angeblich übersinnlicher Fähigkeiten geschätzt, ließ die tote Evita zu Perons dritter Frau Isabel ins Bett legen. Die mußte sich neben der schönen Leich ausstrecken, während der Privatsekretär mit viel Hokuspokus versuchte, Evitas Seele auf die neue Ehefrau zu übertragen.

Seit 1976 ist Signora Perón wieder zurück in Buenos Aires, in der Gruft ihrer Familie. Aber weil man kein Risiko mehr eingehen will, sichert eine Stahlplatte den Sarg, der sechs Meter in der Tiefe liegt.

 

 

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Die Gruft der Familie Duarte, eher unscheinbar im Vergleich zu den anderen Prunkbauten im Cementerio Recoleta. Evita ruht in sechs Metern Tiefe und unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen.

 

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Eine von vielen Gedenktafeln, die Organisationen und andere Evita-Fans an der Gruft anbringen ließen.

 

Die Gruft selbst ist unspektakulär. Uneinsichtige Ziertür, viele Plastikblumen, aber klein im Vergleich zu den prunkvollen Totenpalästen rundherum. Und als ich da so durch den Friedhof spazierte, fiel mir mein Testament siedend heiß wieder ein. Hatte ich reingeschrieben, dass ich kremiert werden möchte? Himmel, hoffentlich hatte ich das reingeschrieben! Nicht etwa, weil ich wahnsinnige Adoranten hätte, die was mit meinem Leichnam anzufangen wüssten. Es geht ums Prinzip. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Mit einem Feuerchen ist alles weg. Und die Grabpflege ist damit auch obsolet. Das empfand ich nämlich ein wenig bedrückend in Recoleta. All diese aufwendig gemeißelten Gruften, auf die die Leute hingespart haben, um auch nach ihrem Tod noch zu zeigen, dass sie ein wichtiges Mitglied der Gesellschaft waren. Und dann? 30 Jahre später verkommt alles. Manche Totenhäuser gleichen Ruinen, mit eingeschlagenen Fensterscheiben, offen Gittertüren und schutzlos herumstehenden Särgen. Einige Gruften werden sogar als öffentliche Toiletten mißbraucht, in anderen leben streunende Straßenkatzen. Dann lieber schön in der Urne am Kamin rumstehen. Und zur Sicherheit der beängstigend klugen Schwester einen Nachsatz schreiben. Den kann sich ja auch im Safe ablegen.

 

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Vergessene Gruften. Nur die Spinnen schauen noch regelmäßig vorbei. Drinnen steht einsam ein Sarg.

 

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Auch hier war schon länger niemand mehr da. Das einst prunkvolle Totenhaus verfällt.

 

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In Recoleta trifft das Leben auf den Tod. Oft hautnah.

 

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The End.

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