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Sydney mit Schalldämpfern

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Geht ja. 25 Stunden Flug, einmal hintenrum um die halbe Welt und schon steht man vor der Oper in Sydney …

 

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… um zu bemerken: Die Fassade ist gar nicht rein weiß, die ist aus vielen kleinen weiß-gelblichen Fliesen.

 

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Nahaufnahme Nummer eins.

 

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Nahaufnahme Nummer zwei.

 

Ich hab’s gerne ruhig. Wenn man mit drei Geschwistern aufwächst, die jederzeit ins Zimmer stürmen können, um einen zu verhauen oder sonst irgendwie im Tagträumer-Modus zu stören, dann wird einem ein stilles Kämmerchen heilig. Das geht sogar soweit, dass ich vor Jahren einen Mann dazu genötigt habe, eine Rigips-Wand in jenem Liebesnest aufzuziehen, das wir gemeinsam bezogen hatten. Die Wohnung war toll, hell, freundlich. Sie hatte nur einen entscheidenden Fehler: Es gab ein Zimmer zu wenig. Das „Waltraud-kann-sich-hier-autistisch-zurückziehen“ Zimmer. Die „zehn-Quadratmeter-für-mich-allein“, in denen ich unbehelligt ins Narrenkastl schauen oder obszöne Mengen an Gummibären futtern kann, ohne dass jemand fragt: „Alles okay?“

Der Mann hat damals das Zimmer mit den eigenen Händen und viel Liebe gebaut. Die Beziehung ist trotzdem in die Brüche gegangen. Das hatte viele Gründe. Ich bin bis heute überzeugt, hätte er nicht diese verdammten Glaselemente in die Wand eingefügt („Die brauchen wir, sonst wird dieser kleine Raum zu dunkel, außerdem sieht’s schöner aus“), dann wären am Ende weniger die Fetzen geflogen. Denn jedes Mal, wenn ich nur eine halbe Stunde in meinem Refugium auf der Couch lag und zufrieden an die Decke starrte, klopfte er ans Glas und schaute mich besorgt wie ein Reptil im Terrarium an: „Alles okay?“ Nach einem Jahr war Schluß.

Warum ich die Geschichte erzähle? Weil das mit der Ruhe beim Weltreisen mitunter ein Problem ist. Vor allem bei meiner Route, die so viel durch Großstädte führt. Menschen, überall Menschen. Dazu Autos, Busse, Mopeds, Straßenhändler, plärrende Kinder und Gehupe. Ich bin jedes Mal froh, wenn ich nach einem langen Tag in meine Unterkunft komme und ein paar Stunden zum Durchatmen habe – allein, ohne dass irgendjemand mich nur durch seinen Atem oder seinen Herzschlag stört. Insofern habe ich auf meinem Weg von Rio de Janeiro nach Sydney das Schlimmste befürchtet: 25 Stunden reine Flugzeit, einmal hintenrum um die halbe Welt, von Brasilien nach Chile über Neuseeland, mit hunderten Passagieren eingepfercht in einen Flieger. Obendrein: Lange Wartezeiten und Gedränge am Zoll, jede Tasche wird inspiziert, auf den fünften Kontinent darf nichts, was auch nur halbwegs natürlichen Ursprungs ist. Am Ende war ich entnervt und hundemüde.

Und dann … das! Ruhe. Vogelgesang. Gedämpftes Gelächter. Kaum hatten sich die Türen der Ankunftshalle geöffnet und mich auf die Straße ausgespuckt, war alles wie mit Schalldämpfer. Kein Gehupe, kein Geschrei. Als hätte man in der ganzen Stadt die Lautstärke runter gedreht. Erst dachte ich es, es liegt an mir und der Schlaftablette, die ich während des Flugs eingeworfen hatte. Das kann einem schon mal die Wahrnehmung vernebeln. Aber mittlerweile weiß ich: Mit meinen Lauschern ist alles in Ordnung, Sydney ist die wahrscheinlich ruhigste Großstadt der Welt.

 

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Das Zentrum, umgeben von viel Grün. Und alles ist leise. Als ob eine schalldämpfende Decke über dem Himmel liegt.

 

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Meine neues Zuhause in Sydney. Elizabeth Bay, 25 Minuten zu Fuß zur Oper. Keine Insel, aber ich bin selig.

 

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Harbour Bridge mit Kreuzfahrtschiff.

 

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Sogar die Schulkinder hier sind erträglicher als bei uns. Sie schreien weniger und sie tragen adrette Uniformen.

Zum einen ist Sydney so ruhig, weil es hier Platz ohne Ende zu geben scheint, die Straßen sind breit, die Gehsteige und Boulevards auch. Kaum einer der 4,6 Millionen Einwohner will in den überteuerten Hochhäusern im Zentrum leben, obwohl diese von gleich mehreren Parks umgeben sind. Das Leben spielt sich in den ruhigen Vororten und Nachbarschaften ab. Dort, wo es Tennisplätze, Parkbänke und an jeder Ecke liebevoll eingerichtete Straßencafés gibt.

Du wirst es lieben hier“, meinte Greg am ersten Tag zu mir.

Greg ist Installateur. Und bei unserer ersten Begegnung hab ich gleich entsetzt die Tür vor seiner Nase zugeknallt. Denn Greg saß mit heruntergelassener Hose auf dem Klo. Meinem Klo!

Ich dachte, du kommst später an“, lachte er, als er eine Minute später seelenruhig aus dem Bad spazierte und mir offiziell den Schlüssel zu meiner Unterkunft überreichte. „Ich hab im Auftrag der Vermieterin noch schnell den Duschkopf ausgetauscht. Viel Spaß in Elizabeth Bay! Und nicht vergessen: No worries!“

Dann war er weg. Und ich stand staunend da. Denn Sydney ist anders, als alles, was ich bisher kennengelernt habe. In dieser Stadt scheint nichts ein Problem zu sein. Egal, wen man trifft – ob es Toiletten-Greg oder der Busfahrer im Abendverkehr ist  – jeder bleibt ausnehmend freundlich. So freundlich, dass ich mittlerweile den Verdacht hege, Sydneys Bürgermeister lässt heimlich Psychopharmaka ins Trinkwasser mischen, denn die Sonne allein kann nicht für die gute Laune hier verantwortlich sein. Und mit der Freundlichkeit geht offenbar die Hilfsbereitschaft einher. Kaum war ich angekommen, trudelte ich auch schon eine Nachricht von Grant auf meinem Facebook-Account ein. Grant wurde von einer lieben Bekannten auf mich angesetzt. Sie hat vor zehn Jahren ebenfalls eine Weltreise gemacht und ist ein Schatz darin, mich mit Leuten rund um den Globus zu connecten. „Willkommen in Sydney! Lass mich wissen, wann du auf einen Drink gehen willst und ich dir die Stadt zeigen kann,“ schrieb Grant. Eine Stunde später poppte eine SMS von einer gewissen Julia auf dem Handy auf. „Hallo Waltraud, wir kennen uns nicht. Aber Grant hat mir gesagt, dass du neu in Sydney bist. Was machst du morgen? Ich wohne eigentlich in Canberra, bin aber für einen Tag hier in der Stadt und würde mich freuen, dich rumzuführen.“ Und last but not least erhielt ich eine Nachricht von Ian. Ian ist der beste Freund von Richard, einem Kanadier, den ich in Rio kennengelernt habe. Ian schlug Nachmittagstrinken am Ostersonntag vor. Ich war begeistert.

Am Wochenende war ich also im Sozialstress. Erst führte mich Grant auf ein Glas Wein bei der Hafenpromenande aus, immer darauf bedacht, dass ich den besten Blick auf die Harbour Bridge und das Opernhaus habe.

„Was möchtest du essen?“, fragte er.

„Was Arges“, sagte ich.

Also bestellte Grant zwei Pizzen: Die erste war mit Fleisch vom Salzwasserkrokodil belegt. Die andere enthielt geschmortes Känguru.

„Das Krokodil schmeckt wie Fisch, das Kängaru wie Rindfleisch“, stellte ich fest, während ich mir noch ein Stück von Grants Krokodilspizza absäbelte. „Sag, was esst ihr sonst noch Fieses? Vogelspinnen? Heuschrecken?“

„Meat Pie. Das ist ziemlich fies, weil ziemlich grauslich. Das haben wir von Briten,“ lachte Grant.

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Grant. Und ich. Auf das Wasser am Tisch haben wir verzichtet davon gab’s eh hinten im Bild genug. Grant orderte Wein …

 

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… und Pizza mit Krokodil (links oben) sowie eine mit Känguru-Fleisch.

 

 

 

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Julia. Ich. Und ein Clown, der sich an uns die Zähne ausbeisst.

 

Von Julia lernte ich am nächsten Tag, dass das mit den Surfern und dem sonnengebleichten Haar nicht immer so stimmt. „Manche Männer lassen sich auch Strähnchen machen, damit’s Beachblond aussieht“, grinste sie, während wir mit der Fähre vom Circular Quay zum Stadtteil Manly schipperten. Und zur Beweisführung lotste sie mich dort gleich an den örtlichen Strand. Julia arbeitet als Hebamme in Australiens Hauptstadt Canberra, sie hat zehn Jahre in Sydney gelebt – und die halbe Welt gesehen. Egal, welche Destination ich ihr auch nannte, Julia war schon mal da. „Ich schätze, das ist so ein Insel-Ding. Für uns Australier ist es normal, zehn Stunden im Flieger zu sitzen, um zu unseren Nachbarn zu kommen. Wir reisen viel. Und wir trinken viel.“

„Vielleicht muss ich mit Letzterem auch beginnen. Macht euch der Alkohol so happy und freundlich?“

„Er hilft zumindest“, meinte sie.

 

 

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Ian. Und die Frage wer kann das bessere Duckface. Er gewinnt.

 

Und dann, am Ostersonntag: Ian. Dass Ian nicht Australier ist, war nach den ersten drei Sätzen klar, obwohl er mittlerweile fast wie ein Sydney-sider spricht. Was ihn mehr verriet als sein Akzent war sein Faible für Ironie, der schwarze Humor – und er lächelte nicht so oft wie Grant und Julia und war auch nicht ganz so unbekümmert freundlich. Schon freundlich, aber eben nicht australisch freundlich. Da gibt es Unterschiede weiß ich mittlerweile.

„Warum bist du nach Sydney gezogen, Ian?“, habe ich ihn gelöchert.

„Ich wollte dort leben, wo es warm ist.“

„Na ja, das hättest billiger auch haben können. Warum gleich ans andere Ende der Welt, so weit weg von Kanada wie möglich!?“

„Weil ich die USA, die direkten Nachbarn zu Kanada, nicht mag. Ihr in Österreich mögt die Deutschen ja auch nicht sonderlich. Also bin ich hierher gekommen. Man spricht Englisch, das Wetter ist schön. Punkt.“

Seit 14 Jahren lebt Ian hier. Er arbeitet als Bauingenieur und hatte diesbezüglich gleich eine Bitte an mich. „Solltest du Selbstmordgedanken hegen, bitte spring nicht die Harbour Bridge runter. Ich hab da gerade eine Baustelle, das kann ich echt nicht brauchen.“

„Das ginge ja gar nicht, ich bin letztens drüber spaziert, alles vergittert.“

„Glaube mir, es geht. Es schaffen immer wieder Leute. Und wo wir schon beim Morbiden sind:  Wenn du in Cairns bist, um dir das Great Barrier Reef,  anzuschauen: Die Strände da oben im Norden sind nicht so wirklich zum Rumliegen wie hier in Sydney.“

„Was meinst du?“

„Dort kann’s passieren, dass du von einem Krokodil attackiert und gefressen wirst.“

„Wär zumindest eine tolle Schlagzeile. Dann werde ich post mortem berühmt.“

„Du wärst nicht die erste. Eine gute Schlagzeile gibt es immer nur, wenn etwas neu ist, oder?“

„Auch wieder wahr,“ grummelte ich.

Nach diesem Treffen fiel ich – wo so oft seit meiner Ankunft – todmüde ins Bett. Sydney ist für mich ein lebendig gewordenes Facebook, jeder befreundet jeden und wen man noch nicht kennt, den will man kennenlernen, nicht nur online, sondern real. Aufgepeppt wird das ganze, wie Facebook auch, mit kuriosen Geschichten. Wie jener von Lachlan Macquarie. Der britische Offizier und ehemalige Gouvenor von New South Wales gilt als einer der Gründerväter Australiens und war offenbar so selbstverliebt, dass er alles, was ihm in die Finger kam, nach sich selbst benannte. So gibt es heute in Sydney eine Macquarie Street, einen Macquarie Place, einen Macquarie Park, eine Macquarie University, Macquarie einmal für alles. Außerdem stehen in Sydney jede Menge Denkmäler mit seinem Konterfei rum. Die, die er vor seinem Tod im Jahr 1824 selbst abgesegnet hat, schauen ihm übrigens wenig ähnlich. Die Statuen sind irgendwie schlanker, die Gesichtszüge feiner. Aber: Auch wenn Macquarie ein selbstverliebter Trottel gewesen sein mag, deppert war er nicht, vor allem nicht in Sachen Beziehungsarbeit. Um seine Angetraute Elizabeth bei Laune zu halten, benannte er fast ebenso viele Straßen und Plätze nach ihr. Die Elizabeth Street ist gleich neben der Macquarie Street, die Elizabeth Bay ein durchaus malerisches Plätzchen. Happy wife, happy life.

Und wer Australien nach dieser Geschichte noch immer nicht mag, den überzeugt vielleicht diese Katzenstory. Denn: Katzenstories gehen immer. Und in Sydney verehrt man eine Kater namens Trim, geboren 1799 auf hoher See. Die Samtpfote, die mehrfach über Bord ging, aber schnell schwimmen lernte und über Taue zurück aufs Schiff zurück kraxeln konnte, war das Liebkind von Captain Matthew Flinders, der Australien umsegelte, um Navigationskarten der Insel anzufertigen. Flinders war so hingerissen von dem Tier, dass er ein ganzes Buch über den talentierten Super-Kater schrieb.

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Mister Flinders …

 

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… und der Kater Trim. Ein dynamisches Duo für die Ewigkeit.

 

Dass die beiden am Rückweg nach England Schiffbruch erlitten und vor Mauretanien in französische Gefangenschaft gerieten –  eine Trägodie. Vor allem für Trim. Zwei Wochen nach Beginn seiner „Gefangenschaft“ verschwand er für immer. Flinders verdächtigte Sklaven des Katzenfressens und schrieb untröstlich folgenden Nachruf:

»In Erinnerung an Trim, den auffälligsten seiner Rasse, einen liebevollen Freund, treuen Diener und das beste aller Geschöpfe. Er reiste um die Welt und kam bis nach Australien, das er umrundete. Seinen Mitreisenden war er eine immerwährende Freude und ein ständiges Vergnügen. Auf seiner Rückkehr nach Europa erlitt er vor Mauritius 1803 Schiffbruch. Er kam mit dem Leben davon und fand Zuflucht und Rettung auf der Insel, wo er allerdings gegen jedes internationale Recht und alle humanitären Grundsätze aus nationalistischen Gründen von den Franzosen verhaftet und ins Gefängnis gesteckt wurde. Und wo er leider seinen überaus nützlichen Lebensweg beenden mußte. Für sein viel zu frühes Ableben sind die Katzenfresser dieser Insel verantwortlich. Wie oft durfte ich seine spielerische Ausgelassenheit mit Entzücken betrachten, seine außergewöhnliche Intelligenz mit immer neuer Überraschung bewundern: niemals wird es wieder einen wie ihn geben! Trim wurde 1799 im südindischen Ozean geboren und starb wie beschrieben 1804 auf Mauritius. Friede seiner Seele und Ehre seinem Andenken!«

Dem ist nichts hinzuzufügen. Außer, dass heute eine Statue von Trim in der Nähe des Botanischen Gartens steht. Gleich neben seinem Herrchen. Ich mag sie, die Australier. Und jetzt muss ich los. Grant hat geschrieben. Er will mit mir auf einen Roadtrip gehen. Und dann sind da noch die Schwester einer Freundin aus Wien, die ist auch gerade in der Stadt. Australien mag zwar am Ende der Welt liegen, aber am Ende treffen sich alle hier aus aller Welt.

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Zum Abschluss noch schnell: Bondi Beach. Weil’s dazu gehört, zu Sydney.

 

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Schwimmen nur auf eigene Gefahr. Surfen auch. Die Surf-Rescue ist immer im Einsatz und prescht zwischen meterhohen Wellen stundenlang dahin. Mir ist schon beim Hinschauen schlecht geworden.

 

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