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Helsinki: Kosmische Prüfungen, Sauna und LSD-Bettwäsche

Manchmal gibt es Lektionen, die will man nicht lernen. Ich kiefle gerade an einer, die mir gar nicht schmeckt. Genau genommen kiefle ich schon seit meiner letzten Nacht in Indien daran. Was passiert ist? Mein Fußbändchen ist abgefallen. Einfach so. Ich bin ins Bett gegangen, in einem dieser anonymen Airport-Hotels, die überall auf der Welt gleich ausschauen und beim Aufwachen am nächsten Morgen lag es zerstört in der Mitte des Lakens: Das feine Leder durchgerissen, an einer dieser Stelle, die man nicht mehr kitten kann.

 

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Da war es noch heil, das Fußbändchen: Leder, Plastikperlen, schöne Zeiten.

 

Bevor jetzt jemand Stilkritik anbringt: Ja, ich weiß, Fußketterl sind prollig und ungestraft kann man die Dinger eigentlich nur bis 20 tragen. Aber ein bisschen Prolo schadet nicht. Und außerdem: Dieses Fußbändchen war etwas Besonderes. Es steht für den Beginn dieser Weltreise, Maasai in Tansania haben es mir verkauft. Und egal wo es mich in den vergangenen Monaten auch hinverschlagen hat, das Teil war hautnah mit dabei. In Südafrika hing es furchtlos an meiner Fessel, während ich im bitterkalten Atlantik darauf wartete, dass ein weißer Hai auf mich zuschwimmt (den Link zur Geschichte gibt es hier). In San Francisco landeten wir sturzbetrunken in fremden Betten (also ich war sturzbetrunken, nicht das Fußbändchen). Wir jetteten gemeinsam von einer Hawaii-Insel zur nächsten und sonnten uns an jedem noch so kleinen Strand. Wir gingen durch dick und dünn, durchs australische Outback, den rattenverseuchte Monsunregen in Myanmar … Und jetzt, hier im unpersönlichen Flughafen-Hotel in Delhi, sollten sich unsere Wege trennen? Das war’s?

„Ich kann es nicht zurücklassen“, tigerte ich durchs Zimmer. „Das fühlt sich an wie Verrat.“ Dreimal habe ich die Reste wieder aus dem Mülleimer gefischt. Sie rochen nach Sonnencreme. Nach Schweiß. Nach Meer. Aber vor allem roch das Fußbändchen nach Leben und nach einem Abenteuer, das ich noch nicht bereit war, aufzugeben. „Ich nehm’s einfach weiter mit, als Erinnerung“, versuchte ich mich zu beruhigen – und im nächsten Moment hörte ich den thailändischen Meditation-Mönch in meinem Kopf predigen: „Lass los! Das ist der wahre Schlüssel zu Glück und innerer Zufriedenheit. Du kannst nichts in diesem Leben festhalten. Keine Sache, kein Gefühl , kein Zustand währt ewig. Nimm es als das, was es ist, freu dich daran und zieh weiter.“

Hmmmm. Ich hasse es, wenn Mediationsmönche in meinem Kopf reden. Zumal ich ja weiß, dass der Kerl Recht hat – und dass das Fußbändchen stellvertretend für etwas steht, dass ich bis jetzt in bewährter Vogel-Strauß-Manier zu ignorieren versucht habe: Meine Weltreise geht zu Ende. Ein Jahr Abenteuer, völlig losgelöst und frei, das kommt so schnell nicht wieder, das ist vorbei.

Aber was zum Teufel bleibt?

Gut, die Mitbringsel bleiben. Ich habe auf dieser Reise nichts anbrennen lassen und geshoppt wie eine Blöde. Hula-Wackelpuppen aus Hawaii, einen rattenscharfen Jumpsuit aus Rio, Celadon-Keramik aus Chiang Mai – alles was mir zwischen die Finger und die Kreditkarte gekommen ist, wurde entweder von lieben Freunden zurück nach Wien geschleppt oder per Frachter in Richtung Heimat verschifft. Rückblickend war ich wie ein Hamster. Ich wollte Bestand schaffen, wo kein Bestand ist. Denn in ein paar Jahren wird jedes Mitbringsel verschlissen und mein Hinterteil dank Gummibären-Fetisch zu breit für den rattenscharfen Jumpsuit sein.

Und dann?

„Die Erinnerungen bleiben“, flüstert der Mönch. „Die kann dir niemand nehmen.“Aber ich muss dieses Gefühl von Freiheit irgendwie konservieren“, schreie ich zurück. „Ich weiß nicht, ob ich sonst zurück in meinen Alltag kann.“

„Lass los,“ höre ich. Eh klar. Der Betbruder bringt mich zum Verzweifeln.

Das Fußbändchen blieb übrigens zurück im Müll. Ich muss täglich daran denken.

Und als ob die Sache nicht schon verfahren genug ist, scheint der Mönch Schützenhilfe bekommen zu haben – und zwar von niemand geringerem als dem Universum. Täglich stellt es mir neue Fleißaufgaben in Sachen „Let go“. In Helsinki hat’s angefangen. Da ging so ziemlich alles kaputt, was kaputt gehen kann. Das schnelltrocknende Lieblings-T-Shirt, das mich immer halbwegs wie ein Mensch hat aussehen lassen, wies plötzlich zwei Löcher auf.

Weg damit, in die Altkleidersammlung. Heul.

 

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Das letzte Foto vom Lieblings-T-Shirt. Wenig später wies am Rücken zwei Löcher auf. Wie die entstanden sind? Keine Ahnung, ich verbuche es zähneknirschend unter kosmischer Verschwörung.

 

Im Flagshipstore von Samsonite Helsinki musste ich mich von meinem Koffer trennen. Ich war ins Geschäft gefahren, weil ein Reisverschluss den Geist aufgegeben hatte. Insgeheim hatte ich gehofft, man könnte ihn reparieren. „Nein, der ist kaputt,“ stellte die freundliche Dame hinterm Tresen fest. Und überreichte mir – weil’s noch unter Garantie fällt – ein niegelnagelneues Gepäcksstück. Andere hätten gejubelt und ein Loblied auf den sensationellen Kundenservice von Samsonite angestimmt, ich brauchte ein paar Sekunden bis das mit dem Lächeln klappte. „Ist etwas nicht in Ordnung?“, fragte die Verkäuferin. „Es ist das gleiche Modell, die gleiche Farbe, gleiche Größe.“ – „Aber die vielen Erinnerungskratzer fehlen“, seufzte ich. „Mein alter Koffer hat ausgeschaut, als hätte er was erlebt. Ich hab ihn durch die dreckigsten Straßen von Indien gezogen, er hat sogar einen  Tropensturm auf einem fast gekenterten Speed-Boot in Thailand überlebt. Dieses Teil hier hat keine Seele.“ Ich bin überzeugt, die Verkäuferin erzählt jetzt noch ihren Kolleginnen, ich sei verrückt.

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Good memories: Mein wichtigster Reisepartner-in-crime.

 

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Okay, das ist nicht das beste Foto, aber es zeigt am besten unsere Beziehung: Mein Koffer und ich, wir haben ständig miteinander gekämpft. Er meinte, ich hätte Gewichtsprobleme. Ich konterte, er sei viel zu klein. Ich werde ihn vermissen.

 

Und dann, während ich mit dem Rad durchs Helsinki brauste, ging auch noch meine Sonnenbrille kaputt. Eine Schraube löste sich aus dem Bügel und brach. Ich fluchte und schimpfte wie ein altes Waschweib und suchte dann einen 30-Euro (!) teuren Optiker-Reparaturservice auf. Eine neue Brille zu kaufen hätte mein wehmütiges Herz an diesem Tag nicht mehr verkraftet.

Abends setzte ich mich aufs Bett – und meditierte. 40 Minuten saß ich im Lotussitz und versuchte mein Hirn auszuschalten. Natürlich klappte es nicht. Ich musste vielmehr darüber nachdenken, wieso zwei Löcher im T-Welt im nullkommanix mein Seelenheil ins Wanken bringen. Oder was ich im Alltag wirklich am Weltreisen vermissen würde? (Die versifften Flughafenklos und die ständige Orientierungslosigkeit sicher nicht). Außerdem: Hallo?! Auch wenn eine tolle Zeit demnächst zu Ende geht, mein Leben ist ja deshalb nicht vorbei, da werden hoffentlich noch viele tolle Momente kommen. Einatmen. Ausatmen. Alles Schritt für Schritt. Nur nichts überstürzen. Oder planen. Planen kann man sowieso nichts. Das – und 150 Gramm weiße Schokolade – halfen schließlich. Und auch, dass in Finnland derzeit die Sonne so gut wie nicht untergeht. Mein Blick auf die Uhr zeigte 22 Uhr 30. Es war taghell.

Also hab ich mich wieder aufs Fahrrad geschwungen und bin raus ins Leben. Und was soll ich sagen? Helsinki war trotz der vielen Prüfungen gut zu mir. Es servierte Wurstbrote und Zimtschnecken am laufenden Band. Und dass die Finnen vom Topflappen bis zur Bettwäsche ALLES in den wildesten Mustern bedrucken, hat mir imponiert. „Woher kommt euer Faible für arge Farbe und Stoffe?“, habe ich meine Vermieterin Tiina gefragt. „Es hilft uns zu überleben“, meinte sie lapidar. „Leb du mal einen Winter lang in Finnland. Wir haben monatelang keine Sonne. Ich bin fast sicher, die bunten Stoffe wirken anti-depressiv.“ Und mit diesen Worten überreichte sie mir eine psychedelisch-gemusterte Bettwäsche, die LSD überflüssig macht.

Matti wiederum, ein Finne, der schon mit 25 eine kreisrunde Glatze und zahlreiche Tattoos trägt, hat mir den hiesigen Sauna-Fetisch erklärt.

„Du musst dir das so vorstellen: Unter 5 Millionen Finnen gibt es 3 Millionen Saunen. JEDER hat eine Sauna daheim.“ 

„Ich bin hier in Helsinki in einem privaten Apartment. Da ist keine Sauna,“ wagte ich zu widersprechen.

„Ist es ein Wohnhaus mit mehreren Parteien?“

„Ja.“

 „Dann check den Keller. Ich wette mit dir, da ist eine.“ 

Er hatte Recht. Damn!

„Die Winter bei uns sind einfach zu lang und arschkalt. Lappland oben im Norden ist nicht umsonst die Heimat des Weihnachtsmanns, Santa Claus hat sogar eine offizielle, finnische Postadresse. “

 

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Der Weihnachtsmann ist Finne, zumindest hat er in Lappland eine hochoffizielle Postadresse, an die jedes Jahr rund eine halbe Million Kinder, die auf Nummer sicher gehen wollen, dass auch das Richtige unterm Baum liegt, schreiben. Wer’s ihnen gleich tun will, bitte sehr: Santa Claus Main Post Office, FI-96930 Arctic Circle.

 

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Und weil man von Weihnachten allein offenbar nicht leben kann, betreibt Santa Claus in Helsinki auch einen Kiosk. Das soll noch mal jemand sagen, der Typ sei weltfremd.

 

„Also ist es nur die Kälte, die euch in die Saune treibt?“

„Ja. Aber es kommt sicher auch dazu, dass wir Finnen ein Bauernvolk sind. In der Provinz war man froh eine Sauna zu haben – sie diente in vielen Familien als Gebärzimmer. Es war der einzige Raum, den man durch die Hitze halbwegs steril halten konnte. Sogar mein Vater, Jahrgang 1959, hat seinen ersten Schrei in der Sauna getan.“

„Ihr stammt also sprichwörtlich von der Sauna ab“, lachte ich.

Matti nickte nur und lotste mich weiter, in Richtung des sogenannten Pest-Parks, wo sich Hipster und  kinderwagenschiebende Blondinen entspannt zwischen Grabsteinen sonnten.

„Da sind echte Gräber?“

„Ja, aber die sind uralt. Das stört niemanden, wenn man hier abhängt.“

 

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Sonnen  zwischen Grabsteinen. In Helsinki ganz normal.

 

Und schließlich führte er mich zur Rock Church, deren Name nichts mit Rockmusik sondern mit der Bauart zu tun hat. Die moderne Kirche, die im Finnischen Temppeliaukio kirkko heißt, wurde in den 1960ern von den Architektenbrüdern Timo und Tuomo Suomalainen in einen Granitfelsen gehauen. Die Wände sind roh und unbehandelt, nur die Orgel und der kleine Altar erinnern daran, dass es sich um ein Gotteshaus handelt. Das Beste: Konzerte finden hier öfter stat als Predigten. Die Akustik in der Steinkirche ist einfach zu gut, jeden Nachmittag nutzen Klavier- und Geigenspieler das Gebäude als Proberaum während Touristen andächtig der klassischen Musik lauschen.

 

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Die Rock Church, das wahrscheinlich coolste Gotteshaus im hohen Norden.

 

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„Kirchturm“ mit Warnhinweis (den jeder ignoriert).

 

„Da siehst du das Schild?“, fragte Matti und zeigte auf den „Bitte nicht aufs Kirchendach klettern“-Warnhinweis und ein paar kraxelnde Kinder, die das Schild unbekümmert ignorierten. „Wo auf der Welt findet man das sonst noch?“

„Im Deutschen sagt man: Die spinnen, die Finnen“, grinste ich.

Matti gab stoisch zurück: „Wir nehmen das als Kompliment.“

Ich mag sie, die Finnen, hab ich das schon erwähnt? Und der Vollständigkeit halber noch ein paar Bilder, die mir in Erinnerung geblieben sind.

 

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Sieht aus wie eine riesige Holzschüssel, ist aber eine Kapelle, die auf einem der belebtesten Einkaufs- und Verkehrsplätze Helsinkis steht. Das Konzept: Jeder soll im Trubel mal abschalten können.

 

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In der Kampin Kappeli gilt: Bitte schweigen. Die grauen Dinger sind rechts sind übrigens XL-Filzkissen, auf denen man sich hinlegen kann. Ich plädiere dafür, dass unsere Kirchen das auch einführen.

 

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Das Café Regatta. Eine kleine Legende gleich beim Sibelius-Park. Das Häuschen bietet innen genau drei Tische und free coffee refill.

 

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Cinnamon Buns haben sie auch, die sind der Bestseller. Nur mit dem Kardamom könnten sie meiner Meinung nach ein bisschen sparen. Das lässt die Zimtschnecke nämlich so schmecken, als hätte sich die Köchin während des Backens großzügig einparfümiert und die Hälfte des Duftwassers auf den Teig ergossen.

 

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Herr Sibelius war Komponist und Finne. Eigentlich hieß er mit Vornamen Johan, bekannt ist aber unter Jean. Das hier ist sein Denkmal.

 

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Finnisches Volksgut: Mumins, nilpferdartige Trollwesen. Ihr Hype begann mit Kinderbüchern und Zeichentrickserien. Heute sind die Wesen, die von Schriftstellerin Tove Jansson erfunden wurden, überall im Land zu finden: Auf Kaffeetassen, Postern, Taschen, Handtüchern und Bettwäsche.

 

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Mumins müssen auch Hausarbeit machen.

 

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Raus aus den Klamotten! Die Sauna-Nation zieht sich überall aus und genießt ein paar Sonnenstrahlen. Die japanischen Touristen sind aus dem Schauen nicht mehr rausgekommen.

 

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Eine komplett Nackte, direkt am Market Square beim Hafen.

 

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Die Bäume an der Esplanade sind dafür angezogen, ha!

 

 

 

 

 

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